Für einen richtigen Blog habe ich kein Talent. Die folgenden Seiten sind eine Art Ersatz für meine Unfähigkeit zu bloggen. In ihnen ist das festgehalten, was mir zum Stichwort "Teilung der Himmel" über unserer Welt im Lauf der Tage begegnet ist.
Die Aufzeichnungen beginnen im Oktober 2015. Der Prolog von damals steht am Anfang. Danach geht es in der Zeit rückwärts, also vom aktuellen Datum aus. Wer verfolgen möchte, was ich nach dem 19. November in chronologischer Reihenfolge aufgeschrieben habe, kann nach unten scrollen.
Die geteilten Himmel - Ein
Blog-Tagebuch
Prolog - Montag, der 19. Oktober 2015
Heute vor einem Jahr wurde Pegida gegründet, die Vereinigung der „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“. Die heutige Demonstration der Bewegung in Dresden, ihrer Geburtsstadt, sowie die zu erwartenden Gegendemonstrationen beherrschen die Nachrichten. Die Stimmung ist aufgeheizt. Vor einer Woche war auf der wöchentlichen Demonstration ein Galgen für Angela Merkel und Sigmar Gabriel zu sehen. Gestern wurde in Köln eine Frau als neue Oberbürgermeisterin gewählt, auf die einen Tag davor ein Attentat verübt worden war. Sie hatte sich als Sozialdezernentin für die Aufnahme von Flüchtlingen eingesetzt.
Politiker warnen davor, sich eine von Pegida organisierten Demonstration anzuschließen. Wer das tue, laufe harten rechtsradikalen Rattenfängern hinterher, sagte der Innenminister. Der Justizminister erklärte, dass fremdenfeindliche Worte die Hemmschwellen dafür senkten, Gewalt auszuüben. Die Anzahl der Anschläge gegen Asylantenheime stieg in diesem Jahr stark an. Bis heute gab es davon knapp 500, soweit die Täter gefasst wurden, waren es nach offiziellen Angaben Bürger aus der Region, die sich bisher nichts zu Schulden kommen ließen.
Der Himmel über Deutschland beginnt sich zu teilen. Es werden klare Grenzen gezogen zwischen denen die dazu gehören und denen, die auszugrenzen sind. Das war schon einmal so in unserem Land und endete damit, dass vor über 50 Jahren die DDR ihre Grenzen mit Mauern und Todesstreifen sicherte. Die heutigen Grenzziehungen in unserem Lande sind unsichtbar – noch. Über Zäune an den Außengrenzen wird schon geredet, in anderen Ländern gibt es sie längst, an den Grenzen Ungarns, der USA, in Israel, zwischen Süd- und Nordkorea.
„Der Himmel teilt sich zuallererst“ heißt es in Christa Wolfs Erzählung „Der geteilte Himmel“, geschrieben nach dem Bau der Mauer im Jahr 1961 in der DDR und dort dann auch verfilmt. Die Teilung beginnt in den Herzen und Köpfen von Menschen, danach nimmt sie konkrete Gestalt an, so die These. Wenn sie stimmt, sind die physischen Grenzen dieser Welt, angefangen bei den freundlichen Passkontrollen am Flughafen über die von Bewaffneten geschützten Staatsgrenzen der Welt bis zu den Befestigungen zum Schutz der Grenzen nur die sichtbaren Ausprägungen der Unzahl von Teilungen, der den Himmel über unserem Erball befallen hat.
Die Diskussionen um den Islam und die Flüchtlinge weisen darauf hin, dass die Teilungen der Himmel in den Köpfen und Herzen grenzüberschreitend sind. Die ungelösten Konflikte in Syrien, Afghanistan, dem Irak und in vielen anderen Ländern produzieren tiefe Risse bei uns. Es könnte so sein, dass Globalisierung ebenso spaltet wie verbindet. Dieses Mit- und Gegeneinander von Einheitswünschen und Spaltungen ist ein spannendes Phänomen und der 19. Oktober ist vielleicht ein guter Anfang, ihm auf der Spur zu bleiben und es mit einigem von dem zu verknüpfen, was mir schon früher einmal eingefallen ist.
Ich beschließe, ab heute eine Art Tagebuch zu führen, in dem meine Notizen zu den geteilten Himmeln dieser Welt verzeichnet sind und bin neugierig, wohin das führt.
Oktober 2016
19. - Mittwoch
Vorvorgestern feierte Pegida seinen zweiten Geburtstag,
einen Tag vor dem eigentlichen Jahrestag.. Einen Tag später gab esin Dresden ein "Bürgerfest", mit dem das fremdenfreundliche Gesicht der Stadt gezeigt werden sollte. Zu beiden Veranstaltungen
kamen an die 8.000 Leute, mehr als die Hälfte weniger als beim ersten Geburtstag vor einem Jahr, der Anlass für den Beginn dieser Serie von Betrachtungen war.Die Zahlen von Befürwortern der
Bewegung und ihren Gegenern hat sich etwa gleichermaßen verringert. Das spricht dafür, dass sich etwas verschoben hat im letzten Jahr, aber nicht unbedingt etwas
geändert.
Zum Jahrestag war ich auf Urlaub auf Lanzarote. Dort hatte
ich im letzten Jahr die Nachrichten von den Terroransachlägen in Paris erfahren. Diesmal gab es in den Nachrichten, die wir hin & wieder konsumiert haben, nur den ganz normalen Wahnsinn, etwa
in und um Aleppo und das zu einer Staatskrise hochgejubelte Drama um den Selbstmord eines potenziellen Selbstmordattentäters in einem Leipziger Gefängnis Ich hatte also Zeit. mir einige erste
Gedanken darüber gemacht, wie diese über ein Jahr praktizierte Übung würdig beenden kann. Hier ist mein - vorläufiges - Fazit meiner Beobachtungen im vergangenen Jahr
1. Es hat sich in der Tat kaum etwas geändert in Sachen Fremdenfeindlichkeit, Terror und den vielen anderen Auswirkungen der Spaltungen und Teilungen unter dem Himmel. Es verschiebt sich nur einiges. Pegida bringt nicht mehr soviel Menschen auf die Straße, dafür ist die AfD dabei, bundesweit die drittstärkste Parttei im Lande zu werden. Der Islamische Staat wird militärisch weiter zurückgedrängt. Die STadt Mossulk wird in den nächsten Tagen erobert werden. Aber das wird keineswegs zur Befriedung der Region führen. Das Kürzel IS steht längst für die Bedrohung durch Attentate im eigenen Land. Also: Alles wie immer, nicht einmal unbedingt schlimmer, aber eben auch nicht besser.
2. Diese Bilanz ist ein herber Dämpfer für das allgegenwärtige Vertrauen in einen wie immer gearteten quantitativen Fortschritt der Lebensbedingungen, der letztlich allen Menschen auf der Welt zugute kommt. Einen solchen Fortschritt gab es im letzten Jahr nicht. Hauptgrund dafür war die Betonung von Werten, auf denen ein solcher Fortschritt angeblich aufruht. Wir erlebten einer Krieg der Werte, die unkommunziert und unreflektiert aufeinanderstoßen, und zwar nicht nur im Blick auf das Verhältnis des (ehemals) christlichen Abendlandes zur islamischen Welt, sondern auch innerhalb Europas und in den USA.
3. Als Konsequenz ergibt sich eine schwierige Aufgabe, nämlich die der Überprüfung der eigenen Wertwelten. Denn wenn wir unter den geteilten Himmeln die Konflikte von Werten erleiden, dann muss an denen gearbeitet werden. Und das können logischerweise nicht die der "anderen" sein, gegen die wir uns wenden, sondern nur die eigenen, auf die wir einen gewissen Einfluss haben.
10. - Montag
Am frühen Morgen ist wird zweite Debatte zwischen Hillary Clinton und Donald Trump ausgestrahlt. Sie ist womöglich noch gruseliger als die erste vor einigen Wochen. Die sexistischen Ausfälle von Trump von vor 11 Jahren bilden den Auftakt. Er spielt sie als flapsige Bemerkungen herunter, wie sie in Umkleidekabinen von Jungens nun mal vorkommen und kontert mit einem Hinweis auf Bill Clintons Sex-Affären. Der hat sexuell misshandelt, ich habe nur geredet, so die Einlassung. Im weiteren Verlauf spielt auf beiden Seiten das Wort "Lüge" eine zentrale Rolle. Immerhin gibt es Zeichen der Ehrlichkeit: Zu Beginn und am Ende erfolgt kein Händeschütteln und auf die Schlussfrage, welche positiven Seiten die beiden Kandidaten am jeweils anderen erkennen, gibt es Antworten: Hillary lobt Trumps Kinder, die zeigen, dass es am Vater auch was Gutes geben muss. Er hebt Clintons Kämpfernatur hervor und hat damit am Ende noch einen respektablen Abgang.
9. - Sonntag
Die Welt ist gespalten, was die Haltung zu dem Krieg in Syrien angeht. Im Weltsicherheitsrat scheitern alle eingebrachten Resolutionen für eine Waffenruhe am Veto Russlands oder der westlichen Mächte, in Deutschland fordern CDU und Grüne weitere Sanktionen gegen Russland wegen der im Kampf um Aleppo begangenen Kriegsverbrechen. SPD und Linke sind gegen weitere Strafmaßnahmen. Es herrscht allgemeine Hilflosigkeit, die aber nicht zugegeben wird. Daher erfolgen Schuldzuweiseungen, die die Spaltungen vertiefen. Eine Kette von Teufelskreisen.
8. - Sonnabend
Chemnitz ist Ausgangspunkt einer Großfahnung nach einem
Syrer, in dessen Wohnung ein Pfund höchst brisanter Sprengstoff gefunden worden ist. Der 22jährige Bewohner entkam knapp der Verhaftung. Die Sprengung des Stoffes ergab eine ziemliche Druckwelle.
Im Rest der Welt war es nach der von Wikipedia bisher im Oktober aufgelisteten Attacken an diesem Tag ruhig. Bei uns werden die jüngsten Berichte die Debatten, wie mit Flüchtlingen umzugehen
sein, weiter in Gang halten.
7. - Freitag
Zweiter Tag der Kurse zur Vorbereitung von
Entwicklungshelfer in alle Welt. Seit Anfang des Jahres sind wir Tutoren gehalten, einen von der Einrichtung entwickelten "Werkzeugkasten" (Toolbox) zu benutzen, der helfen soll, die Konflikte in
den jeweiligen Ländern besser zu verstehen und ihnen zu begegnen. Seit Beginn dieser dringenden Empfehlung gibt es Widerstand, vor allem bei den älteren Mentoren. Hauptargument der Skeptiker -
außer: mit der Probelamith haben wir uns schon immer befasst: Die angebotenen "Werkzeuge" stören den Fluss des Austauschs mit den jeweiligen Teilnehmern und fördern ein rein technisches
Verständnis von Konfliktanalyse und Konfliktlösung. Entwicklunghilfe ist lettzlich eine Kunst, zu der man natürlich Werkzeuge braucht. Wenn die einem aber aufgenötigt werden, kann nichts Gutes
dabei heraus kommen. Die Konzentration auf die Werkzeuge ist vielleicht ein Grund für die Friedlosikgeit unserer Welt.
6. - Donnerstag
In Bad Honnef am Rhein, wo Entwicklungshelfer und andere
deutsche Experten, die im Ausland tätig sind, treffe ich einen alten Bekannten, der sich mit den Philippinen auskennt. Seit kurzem muss er seinen TeilnehmerInnen erklären, wie man es verstehen
kann, was der dortige Präsident Dutarte sagt und tut. Er beschimpft die Staatsoberhäupter der Welt, den Papst eingeschlossen, und bekämpft Drogen und Gewalt mit massiver Gewalt. Ich frage mich,
ob es da noch sinnvoll ist, einer Bevölkerung Entwicklunsghilfe zu leisten, die "so jemand" mit überwältigende Mehrheit gewählt hat - trotz der Unterstützung, die dem Land seit der Zeit des
Diktators Marcos gegeben worden ist.
5.- Mittwoch
Eine Konferenz in Brüssel sagt der afghanischen Regierungfür
die nächsten vier Jahre ca. 15 Milliarden Euro für den weiteren Aufbau des Landes zu. Dafür sollen Reformen vorangetrieben werden, mit denen der Einfluss der Taliban zurückgedrängt werden soll.
Außerdem soll das Land Flüchtlinge zurücknehmen. Das Land bleibt also eine Art Protektorat derer, die da vor über einem Jahrzehnt einen "Befreiungskrieg" gegen den Terror begonnen haben. Als vor
einigen Jahrzehnten der Philosoph Carl-Friedrich von Weizsäcker von der Notwendigkeit einer "Welrinnenpolitik" sprach, hat er sich vermutlich etweas sehr anderes
vorgestellt.
4. - Dienstag
Neben der etwas größeren Nachricht des Tages, dass vor der libyschen Küste über 6000 Flüchtlinge aus Booten gerettet wurden, gibt es noch die kleinere, dass von Serbien einige hundert Geflüchtete in Richtung unterwegs sind. Sie wollen, dass die Balkan-Route wieder geöffnet wird. Die Welt entwickelt sich mehr und mehr zu einem Verschiebebahnhof von Menschen, deren Zukunft allein von einer vagen Hoffnung getragen wird..
3. - Montag
In Dresden wird - unter starkem Polizeischutz - der Tag der deutschen Einheit gefeiert. In Kolumbien ist gestern das vor einem Monat feierlich unterzeichnete Friedensabkommen zwischen Regierung und Rebellen in einem Referendum mit einer Brexit-Mehrheit abgelehnt worden. Das ist schwer zu glauben, nachdem die Nachrichtensprecher in den letzten Tagen immer wieder die Zahl von 220.000 Menschen genannt haben, die im Verlauf des Krieges in den letzten Jahrzehnten umgekommen sind. Was kann man daraus schließen? Offenbar zieht eine Mehrheit weitere Tote der Hoffnung auf Frieden auf der Grundlage eines mit Schwächen behafteten Kompromisses vor. - Im Blick auf die aktuellen Krisenherde dieser Welt ist das eine ganz ganz schlechte Nachricht.
2. - Sonntag
In Ungarn hat es ein Referendum zur Flüchtlingspolitik gegeben, das gleichzeitig verloren und gewonnen wurde. Verloren wurde es, weil nur 40% der Bevölkerung an der Abstimmung teilgenommen haben. 50% hätten es ein müssen. Gewonnen wurde es, weil fast 100% derer, die teilgenommen haben, dagegen waren, dass Brüssel dem Land ohne Zustimmung des Parlamentes Flüchtlinge zuweisen kann (oder so ähnlich; die Frage war schwer aus dem Ungarischen ins Deutsche zu übersetzen). Damit ist klar, dass die Ungarn selbst entscheiden wollen, wen sie aufnehmen wollen - und dass sie es mit Europa und seinem vielen Geld auch nicht verderben wollen. Die salomonische Botschaft an den Regierungschef wie die Eurokraten: "Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass." Dass die Botschaft da auch eine "Ohrfeige" für Premier Orban enthält, wie aus Brüssel verlautet, ist mal wieder Wunsch-Hören.
1. - Sonnabend
Auf der Rückfahrt von Berlin nach Hamburg lese ich im "Neuen
Deutschland", dem ehemaligenZentralorgan der SED, auf die ich zufällig gestoßen bin. Ich finde es erstaunlich, dass es das Blatt noch gibt und finde es interessant, dass hier der Versuch gemacht
wird, in Deutschland eine "sozialistische Tageszeitung" auf den Markt zu bringen - mit allem, was dazugehört: Sportseite und Leserreisen (20 Tage Indien für unter 3000 €!). Allerdings: Als ich
einer jungen Verwandten den Namen nenne, sagt sie "Nie gehört, ist das eine neue rechte Zeitschrift?". oder so. Ein Blick ins Blatt erinnert daran, dass es der Politik generell gut tun würde,
Überzeugungen zu haben und an ihnen zu arbeiten und nicht nur Werte zu vertreten. Aber ein solches integratives Vorhaben ist natürlich mühsam.
September 2016
30. - Freitag
Abendlicher Spaziergang durch Berlin - bunt, vielfältig und mult-kultissimo, jedenfalls was die Optik angeht. Die Architektur ist wie die Vielfalt der Menschen: ziemlich chaotisch, aber meistens liebenswert. Diese Stadt hat die Mauer überwunden und ich kann kir nicht vorstellen, dass von ihr noch einmal eine Gefahr ausgeht - wäre da nicht die Regierung.
29. - Donnerstag
Reise nach Berlin zu einem weiteren Besuch im Archiv des Auswärtigen Amtes, um dort noch mehr über die deutsch-birmanischen Beziehungen zu erfahren. Die Akten, die ich da einsehe, bestätigen eine These: Die deutsche Entwicklungshilfe von früher war ein Ergebnis der deutschen Spaltung. Man wollte das Land nicht der "anderen" Seite überlassen. Ob es dem Land wirklich nützte, war da eher zweitrangig. Es gibt einige Gründe, dass Letzteres auch heute noch zutrifft. Politik macht blind, könnte man sagen.
28. - Mittwoch
In Holland hat eine Untersuchungskommission einen Bericht über den Abschuss einer Passagiermaschien im Juli 2014 über dre Ukraine veröffetlicht Wie schon vorher vermutet, wird eine russische Rakete als Urheber des Unglücks angegeben, das fast 300 Menschen das Leben kostete. Die Abschussrampe, so der Bericht, sei nach dem Unglück nach Russland gebracht worden. Ebenso erwartungsgemäß: Russland hält den Bericht für "politisch motiviert". Mit anderen Worten. Auch wenn der Bericht der Wahrheit entspricht, ist er nur ein kleiner Bestandteil einer ideologischen Auseinandersetzung und somit eher konfliktverschärfend als -mildernd. Die Teilung der Ukraine besteht auf der Erde ebenso weiter wie in der Aufarbeitung des Unglücks, das Menschen tot vom Himmel fallen ließ. Die Toten wie die noch Lebenden finden keine Ruhe.
27. - Dienstag
Ab drei Uhr morgens ist die erste Fernsehdiskussion zwischen Hillary Clinton und Donald Trump im Fernsehen zu erleben. Zwei ältere Herrschaften bestreiten sich gegenseitig die Fähigkeit, für das Präsidentenamt geeignet zu sein, für das sie kandidieren. Man könnte das, was sie sagen, eine Schlammschlacht nennen, wenn Kommentatoren nicht darauf hinweisen würden, dass in den Fernsehspots beider Seiten die Gegenseite noch viel heftiger verunglimpft wird. Nun denn, beide geben sich immerhohin am Anfang und am Ende der Show die Hand und versichern, dass sie bei einem Sieg des/der anderen keinen Staatstreich verüben würden.
26. - Montag
Der Aktienkurs der Deutschen Bank stürzt weiter ab. Die USA wollen eine Strafe von 14 Milliarden Euro verhängen. Die Bank hat auf dem Hypothekenmarkt geschummelt. Eine Pleite droht und Staatshilfen sind im Gespräch, werden aber energisch dementiert. Das Problem: Nach dem, was schon alles passiert ist in der deutschen Wirtschaft, kann man kaum noch irgend jemand glauben. Das ist gut für die deutschen Donald Trumps.
25. - Sonntag
In dem serbischen Teil des Vielvölkerstaats Bosnien-Herzegowina hat heute eine Volksabstimmung über die Beibehaltung eines Nationalfeiertags stattgefunden, die vom Verfassungsgericht des ganzen Landes verboten worden war. Der Gedenktag erinnert an die Gründung der Republik Srpska am 9. Januar 1992, die den Auftakt zum Bosnienkrieg bildete. Einer der damigen Mitbegründer der Republik ist mittlerweile in Den Haag wegen Kriegsverbrechen verurteilt worden. Nun haben 99% derer, die an der Abstimmung teilgenommen, für die Beibehaltung des Tages und damit gegen die Aussöhnung der drei Volks- und Religionsgruppen - orthodoxe Serben, katholische Kroaten, muslimische Bosniaken - gestimmt. Traurig und bedenkswert, diese Unversöhnlichkeit.
24. - Sonnabend
Frank-Walter Steinmeier tut mir leid. Er hält vorder UN-Vollversammlung eine emotionale Rede, in der er Russland auffordert, das Assad-Regime zu veranlassen, die Bombardierung Aleppos zu beenden. Zugleich verurteilt er die Bombardierung eines Hilfskonvois durch Regierungstruppen - die zuvor erfolgten amerikanische Tötung von Zivilisten durch einen Angriff erwähnt er nicht. Die Amerikaner hatten sich immerhin für das "Versehen" entschuldigt. Staatsmann Seinmeier kommt aus seiner Rolle als Verbündeter der USA nicht heraus - der Konflikt ist ja auch deshalb unlösbar, weil es keine Agentur gibt, die da vermitteln könnte. Für einen Chef-Diplomaten, der dauernd Verhandlungen fordert statt Bomben zu werfen, ist das traurig. Eigentlich hiolft da nur ein Rücktritt mit ausführlicher Begründung, um zumnindest ein Zeichen zu setzen.
23. - Freitag
Ein Blick in die Nachrichten zeigt Katastrophen. In Syrien hat der Waffenstillstand nicht gehalten, die Hilfslieferungen sind in den Feuerpausen nicht einmal angelaufen. Nun wird wieder gebombt und die Schutzmächte der streitenden Parteien - Russland und die USA - geben sich gegenseitig die Schuld daran. Und dann sind vor der Küste Ägyptens wieder mindest hundert Geflüchtete ertrunken.
22. - Donnerstag
Krankenhauslektüre eines Büchleins von V.S. Naipaul, der die Risse in der globalen Welt so eindrücklich beschrieben hat wie kaum ein anderer. Momentan bin ich mit den zwiespältigen Protagonisten seiner Bücher im Afrika am Ende der 60er Jahre unterwegs. Ein ungenanntes Land erlebt einen Umsturz und zwei Weiße tauschen ihre unterschiedlichen Einschätzungen zu dem aus, was Afrika ihnen bedeutet. Da passt in der Kommunikation nichts zusammen und dasselbe gilt - noch krasser - für das Verhältnis zwischen Schwarz und Weiß.
21. - Mittwoch
Ein weiterer Tag im Krankenhaus mit viel Warterei, das am Morgen vor der Visite im Wartezimmer vor dem Zimmer der Augenspezialisten. Da gibt es nur ein Thema: Die Augen und was damit zusammenhängt. Die böse Welt mit ihren Schrecken bleibt draußen.
20. - Dienstag
Ein Tag unter Betäubung nach einer Augenoperation. Die Welt fühlt sich sehr friedlich an.
19. - Montag
Nach drm kräftigen Wahlklatschen in Meck-Pomm und gestern in
Berlin reagiert die Kanzlerin indem sie zurückzurudern versucht. Sie bedauert das allzu häufige Echo, das ihr "Wir schaffen das!" hervorgerufen hat. Wegen dieses Echos wünscht sie sich, sie könne
die Zeit zurückdrehen. Das geht
allerdings nicht. Das Echo bleibt unjd wird sich vielleicht sogar noch verstärken, obwohl die Flüchtlingskrise faktisch nicht mehr so recht existiert. Im Zweifelsfall entscheidet die
Wahrnehmung.
18. - Sonntag
Berlin hat gewählt und das Ergebnis ergibt ein buntes Bild. Die Wähler der ehemals geteilten Stadt haben für ziemlich viel Gleichheit in der Stimmenverteilung gesorgt. Zwischen der erstplatzierten SPD und der an fünfter Stelle liegenden AfD liegen nicht einmal 10 Prozentpunkte. Danach kommt dann mit großem Abstand die FDP. Eine rot-rot-grüne Koalition wird wohl Rot-Schwarz ablösen. Damit wird allerdings auch die gute alte Spaltung zwischen Links und Rechts wiederbelebt.
17. - Sonnabend
In sieben deutschen Städten gibt es Demonstrationen gegen TTIP und die kleinere Schwester CETA, die mit Kanada abgeschlossen wird. Die Veranstalter zählen insgesamt 320.000 Menschen, die Polizei deutlich weniger. Die Frage ist, ob hier nicht gegen ein Projekt protestiert wird, das sowieso nicht mehr realisiert werden kann, weil es auch von einigen europäischen Regierungen abgelehnt wird. Andrerseits ist auch Wirtschaftsminister Gabriel für CETA, weil hier verträgliche Änderungen erreicht worden seien. Die Protestierer differenzieren eher nicht, sie bilden eine Fundamentalopposition. Das geht auf Demos wie diesen auch nicht anders.
16. - Freitag
In Bratislava wird ein neuer Geist der Europäischen Union
beschworen. Er besteht im Wesentlichen darin, dass die 27 TeilnehmerInnen sicher sind, dass in absehbarer Zeit kein weiteres Mitglied dem Beispiel Großbritanniens folgen wird. Ansonsten werden
alle strittigen Fragen ausgeklammert - kurz: Es herrscht der Geist des kleinsten gemeinsamen Nenners. Das dürfte reichen, um die EU zusammen zu halten.
15. - Donnerstag
Im sächsischen Bautzen sind gestern ausländische Jugendliche, die in einer Flüchlingsunterkunft untergebracht waren, mit Flaschen und Latten auf deutsche Jugendliche losgegangen, die dem "rechten Rand" der Gesellschaft zugerechnet wer4den. Die haben dann zurückzuschlagen versucht, was die Polizei verhindert hat. Jetzt gibt es in der Unterkunft eine Ausgangssperre ab 19 Uhr und ein Alkoholverbot. Am Abend versucht ein Fernseh-Moderator einer Landespolitikerin eine Erklärung dafür zu entlocken, was speziell in Bautzen, wo der Bundespräsident schon mal als Landesverräter beschimpft wurde, und in Sachsen wohl schiefläuft. Die nahe liegende Antwort, dass Integration ein langfristiges Projekt sei und man ausländerfeindliche Teile der Bevölkerung ja nicht einfach vom Erdboden verschwinden lassen können, will er nicht gelten lassen. Diese Haltung wird dann durch eine darauf folgende Kommentatorin verstärkt, die "die Politik" für alles Ungemach verantwortlich macht. Das könnte eine Haltung sein, die ungewollt den Populisten weitere Wähler zutreibt.
14. - Mittwoch
EU Ratspräsident Juncker hält in Straßburg im EU-Parlament eine lange Rede, in der er eine tiefe Krise der Gemeinschaft diagnostiziert und eine Menge von Maßnahmen ankündigt, die vielen entwas verspricht. - In Krlsruhe werden drei Syrer in Gewahrsam genommen. Sie sind angeblich vom Islamischen Staat eingeschleust worden, um hier auf Aufträge zu warten. Sprecher der CDU/CSU fordern daraufhin eine "Komplettdurchleuchtung" aller Flüchtlinge. Das klingt alles ein wenig wie das Pfeifen im Dunklen Wald. Es gibt in ganz Europa eine tiefe Vertrauenskrise, die jeden Politiker überfordert.
13. - Dienstag
In Syrien schweigen seit gestern weitgehend die Waffen, aber die Vereiniten Nationen sehen sich noch nicht in der Lage, den motleidenden Menschen in Aleppo und anderswo Hulfslieferungen zu schicken. Es gibt unterschiedliche Varianten zu den Gründen. Die mit Russland verbündete syrische Regierung wird beschuldigt, Schwierigkeiten zu machen (sprich: es könnten ja Waffen eingeschmuggelt werden); umgekehrt werden die von den USA unterstützten Rebellen beschuldigt, weiter zu schießen. Ein Trauerspiel.
12. - Montag
Die Schlagzeilen von heute haben mit dem gestrigen Gedenkens an die Anschläge von Terroristen vor 15 Jahren in den USA zu tun. Hillray Clintin erlitt bei den Feierlichkeiten in New York einen Schwächeanfall und sagte daraufhin eine Wahlkampfreise nach Kalifornien ab. Ihr Gesundheitszustand ist schon länger ein Wahlkampftheme und noch mehr die Frage, wie sie und ihre Lobbyisten damit umgehen. Ihr Konkurrent - mit 70 Jahren zwei Jahr älter als sie - hat sich das clever zunutze geamcht. Er wünscht ihr schnelle Genesung und kündigt an, das Ergebnis eines eigenen Gesundheitschecks in den nächsten Tagen zu veröffentlichen. - Die Frage, die schon angesichts des Brexit dikutiert wurde, ob nicht mal über die Frage Alter vs. Jugend in der Politik diskutiert werden sollte, wird in dem aktuellen Zusammenhang nicht gestellt.
11. - Sonntag
Heute ist der 15. Jahrestag von 9/11, demr Zerstörung des World Trade Centre durch Al Qaida Terroristen. Die westliche Reaktion auf die Vernichtung von von mehr als 3.000 Menschleben zusammen mit dem Einsturz eines Symbol des amerikanischen Fortschrittsglaubens kann als Beginn der heutigen globalen Krisen im Zusammenhang mit den verschiedenen Spielarten des "Islamismus" angesehen werden. Aus heutiger Sicht war es eine überwiegend irrationale Antwort verletzten Stolzes, die einer Vielzahl von Menschen das Leben gekostet hat und noch kosten wird als das Ereignis, das den "Kampf gegen den Terror" auslöste.
10. - Sonnabend
In Syrien sollen am Montag die Waffen schweigen, heißt es nach Beratungen zwischen den Außenministern der USA und Russlands, die unterschiedliche Parteien im fünf Jahre dauernden Bürgerkrieg unterstützen, sich aber in der Gegenhschaft zum Islamischen Staat einig sind. Wenn die Einigkeit gegen den gemeinsamen Feind anhält, hätte auch der IS etwas Gutes für die vom Krieg betroffene Bevölkerung.
9. - Freitag
In Nord-Korea ist wieder einmal eine Atombombe gezündet worden, was der Beginn eines schon oft zelebrierten Rituals einleitet. Die Welt protestiert, auch China ist nicht amüsiert. Im UN-Sicherheitsrat wird über Sanktionen beraten. Das wird die Lage der Bevölkerung verschlechtern. Vor der nächsten humanitären Krise wird es dann wieder humanitäre Hilfe und ein verbales Entgegenkommen der Staatsführung geben, die das Land seit dem Krieg in 1953 in einer Art Erbpacht regiert. Das ist alles ist nicht ganz so irrational wie es aussieht.
8. - Donnerstag
Auf der Rückfahrt vom Rhein nach Hamburg lese ich im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung einen Artikel, der die Wahlsiege der AfD in Mecklenburg-Vorpommern mit dem "Bäderantisemitismus" in der Weimarer Republik vergleicht, der sich in der Region entwickelte. Schon damals gab es etwa auf Usedom Fremdenfeindlichkeit - jetzt hat in in dieser Region ein AfD-Abgeordneter sogar ein Direktmandat bekommen - und das in einer Gegend, in der es kaum Ausländer gibt. Was es aber offenbar gibt, sind Traditionen der Abgrenzung - auch im Fremdenverkehr.
7. - Mittwoch
In der Koblenzer Pension, in der ich für meinen Besuch im Bundesarchiv untergekommen bin, liegt im Empfangsraum eine Bibel und einige andere fromme Bücher. Davon fällt vor allem eins ins Auge. Es beleuchtet den Unterschied zwischen Koran und der christlichen Heiligen Schrift. Ich schlafe zwei Nächte unter einem vom evangelikalen Geist getragenen Dach. Wäre die Hausherrin eher volkskirlich, hätte ein Buch die Gemeinsamkeiten in beiden Büchern in den Vordergrund gerückt.
6. - Dienstag
Ich nehme an einer Tutorentagung der Akademie für Internale Zusammenarbeit teil, auf der über die weitere Verbesserung der Landesanalysen b eraten werden soll, die deutschen Entwicklungshelfern vor ihrer Ausreise in fremde Länder zuteil wird. Da stehen sich an die vierzig ländererfahrene freie MittarbeiterInnen und ein Team von etwa MitarbeiterInnen der Zentrale gegenüber, die das Ganze organisiert haben. Da gibt es natürlich auch Spannungen. Die kommen vor allem bei der Besprechung eines didaktischen "Werkzeugkastens" zu Tage, die das Team auf Anweisung des zuständigen Bundesministeriums entwickelt hat. Der wird von manchen der Tutoren als eine Einschränkung ihrer persönlichen und künstlerischen Freiheit empfunden, weil er den Charakter eines "Muss" hat, das von oben kommt. Die angebotenen Werkzeuge haben inmteressanterweise das Thema "Konflikt" zu Thema - und haben einen Grundkonflikt zur Folge, der nicht offen ausgetragen wird. Das ist alölerdings auch nicht nötig, da alle Beteiligten aufeinander angewiesen sind.
5. - Montag
In den Kommentaren von Zeitungen udn Rundfunk herrscht auf dem Hintergrund des gestrigen Wahlergebnisses in "Meck-Pomm" so etwas wie Merkeldämmerung. Die Verluste der Partei werde auf die Flüchtlingspolitik zurückgeführt. Die Schwesterpartei aus Bayern weist darauf besonders genüsslich hin. Dass sie mit einem eigenen Programm in die Bundestagswahlen von 2017 gehen könnte, wird noch einmal betont. Dass die SDP mehr Prozente verloren hat als die CDU spielt dabei keine Rolle. Die Flüchthlingsdebatte spaltet emotional, nicht rational.
4. - Sonntag
Was die Wahlprognosen voraussagten, hat sich bestätigt: Die AfD ist in Mecklenburg-Vorpommern nach der SPD die zweitstärkste Partei geworden, noch vor der CDU. Die Neuen haben über 20% der Stimmen bekommen und dabei sowohl die "Linken" geschwächt - SPD und Linke haben je 5% verloren wie die CDU in Trauerstimmung versetzt - obwohl die nur 3% verloren hat. Die AfD sieht sich jetzt as Volkspartei und will auch mit regieren.
3. - Sonnabend
Heute gibt es ein Bekennerschreiben zu dem gestrigen Bombenanschlag in der philippinischen Großstadt Davao im Süden der philippinischen Insel Mindanao. Die 14 Toten und über 70 Verletzten gehen auf das Konto von Abu Sayyaf, einer islamischen Gruppe, die seit langem für mehr Autonomie für die muslimische Bevölkerung kämpft. Die Attentäter haben sich die Heimatstadt des Präsidenten Dutarte augesucht, die er 20 Jahre als Bürgermeister so regiert hat, dass ihn das ganze Land mit großer Mehrheit zum Pträsidenten gewählt hat. Sein Hauptversprechen: Dem Verbrechen dem Kampf anzusagen. In den ersten Monaten seiner Präsidentschaft sind schon hunderte Menschen, denen eine Verwicklung in Drogengeschäfte nachgesagt wurden, zu Tode gekommen. Nun sieht es so aus, als wollten ihm die Rebellen den Kampf ansagen. Als traurige Konsequenz ist zu erwarten, dass der Staatsterror im Lande noch stärker wird - und womöglich auch die Werte der Zustimmung unter der Bevölkerung weiter steigen.
2. - Freitag
Im Laufe des Tages entwickelt sich eine hübsche Scharade. Am Morgen wird gemeldet, die Bundesregierung habe sich von der "Völkermord-Resolution" im Blick auf die Tötung ungezählter Armenier in der Türkei des osmanischen Reiches distanziert. Das wird alsblad dementiert. Der Regierungssprecher - wie vorher der Außenminister - teilte mit, von Distanzierung könne keine Rede sein, eine Resolution wie diese sei aber für die Regierung rechtlich nicht bindend. Das scheint die Lage entscheidend zu entspannen - es sieht so aus, dass deutsche Abgeordnete bald wieder deutsche Soldaten in Incirlik an der syrischen Grenze besuchen können. Es sieht ganz so aus, als sei hier ein Scheinkonflikt diplomatisch elegant aus der Welt geschafft worden - zumindest vorerst.
1. - Donnerstag
Donals Trump ist mal wieder in den Schlagzeilen mit seinem
Plan, nach einem Wahlsieg eine Mauer an der mexikanischen Grenze zu bauen und auch sonst kräftige Maßnahmen gegen unwillkommene Ausländer zu ergreifen. Das hat er ausgerechnet nach einem Besuch
beim mexikanischen Präsidenten verlauten lassen. Der sieht denn auch schwierige Zeiten voraus, wenn ... Aber das ist, wie viele andere Trumpiaden ein Fall von politischer science fiction, wenn
auch keiner sonderlich amüsanten.
August 2016
31. - Mittwoch
Heute scheint der Jahrestag des meistzitierten Satzes des Vorjahres zu sein - Merkels "Wir schaffen das" mit mindest drei Ausrufezeichen. Die Medien bemühen sich um Ausgewogenheit. Beispiele für gelungene Integration werden präsentiert und auch die skeptischen Stimmen im Blick auf all das, was noch unerledigt ist und natürlich: der Anstieg fremdenfeindlicher Gruppierungen, der sich an den Wahlergebnissen seit dem Ausspruch ablesen lässt. Emotionalität hat Gegen-Emotionalität hervorgebracht. Das ist in den Zeiten der Unübersichtlichkeit der komplexen Zusammenhänge unvermeidlich und mach ein fundamentales Dilemma deutlich. Politik, die nur sachlich-rational argumentiert wie es bei der Kanzlerin meist der Fall ist, wird als langweilig und seelenlos empfunden. Wir aber eine Art Vision formuliert, betritt man ideologisch vermintes Gelände.
30. - Dienstag
Die Nachrufe auf TTIP, das Freihandelsabkommen zwischen der Europäisachen Union und den USA mehren sich. Gestern hat Sigmar Gabriel die noch nicht beendeten Verhandlungen für praktisch gescheitert erklärt und dafür vom Koalitionspartner verbale Prügel bezogen. Heute erklärt der franzöische Präsident das Abkommen für erledigt. Die beiden europäischen 'Linken' stimmen dabei mit Donald Trump überein, und werden sich schwer tun, da mit Hillary Clinton auf einen Nenner zu kommen. Am Abend hält ein Professor der Wirtschaftswissenschaften in den Nachrichten ein fulminantes Plädoyer für das Abkommen. Ohne TTIP ist unser wirtschaftlicher Wohlstand am Ende. Das Problem: Auch dies komplexe Thema mutiert zu einer Glaubensfrage und damit zu einem emotionalen Spaltpilz.
29. - Montag
Nächsten Sonntag wird in Mecklenburg-Vorpommern gewählt, ein Rechtsruck wird befürchtet und in einem Jahr sind wieder Bundestagswahlen. Der Ton zwischen den Partnern der Großen Koalition wird schärfer. SPD-Chef Gabriel hat einmal wieder Merkels "Wir-schaffen-das!" Satz als unzureichend kritisiert und bekommt jetzt vom CDU-Generalsekretär die Retourkutsche: Das sei eine "bodenlose Unverschämtheit" und außerdem noch ganz falsch. Doppelt hält besser? Mal schaun, ob das hilft, die AfD-Wähler zu überzeugen.
28. - Sonntag
Eine gute Nachricht: Die kolumbianische Rebellengruppe Farc will den Krieg gegen die Regierung beenden. Nach einem in vierjährigen Verhandlungen erreichten Abkommen wird sie die Waffen abgeben und eine politische Partei werden. Der seit 1964 andauernde Bürgerkrieg hat schätzungsweise 260.000 Menschen das Leben gekostet.
27. - Sonnabend
Die Bundeskanzlerin setzt heute ihre Gespräche mit EU-Regierungschefs fort. Gestern traf sie in Warschau mit den Führern Polens, Ungarns, Tschechiens und der Slovakei. Heute war sie im Gästehaus der Bundesregerierung Gastgeberin für die Ministerpräsidenten Österreichs, Sloweniens, Kroatiens und Bulgariens. Alle acht Länder sind mit der Haltung der Bundesrepublik zu zentralen Fragen der EU-Politik nicht einverstanden. Der österreichische Verteidigungsmin ister hat das in einem Gespräch mit mehreren Zeitungen gerade drastisch verdeutlicht. Die "Wir-schaffen-das"-Äußerung der Kanzlerin sei unverantwortlich gewesen. Die Grenzen müssten jetzt zu bleiben. Immerhin: Man redet weiter miteinander.
26. - Freitag
Die Diskussion um die Burka, das Symbol der Spaltung zwischen "unseren" offenen Gesellschaften und den ideologisch verschlossenen "anderen" in der islamischen Welt nimmt kein Ende. Heute macht die feuchte Version des Kleidungsstück, der Burkini, Schlagzeilen. Das oberste französisches Gericht hat verfügt, dass das Verbot, den Ganzkörperbadeanzug in der Öffentlichkeit zu tragen, nicht rechtmäig ist. Das Urteil gilt allerdings nur für eine Gemeinde an der Cote d'Azur, nicht für die anderen etwa 30 Gemeinden, die ein ähnliches Verbot ausgesprochen habe. Da fehlen bisher die Kläger.
25.- Donnerstag
Rückfahrt von einer Feier. Im Zug erlebe ich ein Beispiel
aktueller Integrationsproblematik. Ein nicht deutsch sprechender Passagier hat eine Fahrkarte dabei, mit der er in diesem Zug nur gegen Zuzahlung benutzen kann. Er hat das auf Deutsch
geschriebene Kleingedruckte nicht gelesen. Der Schaffner erklärt das geduldig auf Englisch und bietet an, dass er Fahrgast bei der nächsten Station aussteigen und da einen zur Fahrkarte passenden Zug nehmen kann. Ein schöner Fall
einer deutschen Integrationsleistung.
24. - Mittwoch
Fahrt zu einer Familienfeier - den ganzen Tag keine Zeitungslektür, keine Nachrichten. Es ist alles außerordenlich friedlich. Wäre es eine Methode zur Bekämpfungen von Spannungen, Spaltungen und Konflikten, die Medien eine Zeitlang abzuschalten?
23. - Dienstag
Die Bundeskanzlerin nimmt zu der inzwischen schon von Satirikern mit Lust aufgenommenen Diskussion um die Vollverschleirun auf ihre Art Stellung. Sie sagt, worum es geht, um die richtige Haltung der ins Land gekommenen. Sie fordert von der türkischen Mehrheit der hierher Migrierten "ein hohes Maß Loyalität zu Deutschland" als Gegenleistung für das ihnen entgegenbrachte Verständnis. Die Äußerung wird umgehend als Unterstellung einer illoyalen Haltung kritisiert, ber wie die "Loyalität" von Deutschtürken denn aussehen soll, bleibt unklar. Bei Spielen der deutschen Nationalmannschaft die Natiuonalhymne mitsingen etwa? Aber das ist schon wieder ein Thema für Satiriker. Ernsthaft lässt sich sagen, dass die Forderung so absurd ist wie von einem bedächtigen Menschen zu fordern "Sei spontan!"
22. Montag
Das Verwaltungsgericht Osnabrück hat die Klage einer 18jährigen Muslima zurückgewiesen, die darauf bestand, in der Schule den Hiqab zu tragen, also vollverschleiert mit frei bleibenden Augen, kurz vor der Burka sozusagen. Sie war bereit, den Kopfschleier beim Betreten der Schule zu lüften, so dass ihre Identität geprüft werden konnte. Die Begründung des Richterspruchs: Der verfassungsmäige Unterrichtsauftrag wiegt höher als der Gebot der freien Ausübung der Religion. Der Unterricht erfordert auch nonverbale Kommunikation und die sei in so einem Fall nicht möglich. Macht Sinn - nur: Sind Lehrkräfte in der Lage, die nonverbale Kommunikation einer strenggläubigen Muslima auch zu verstehen?
21. - Sonntag
IGaziantep im Osten der Türkei, in nahe der syrichen Grenze einer Hochburg der Kurden, sterben über 50 Teilnehmer einer Hochzeitsfeier nach einem Selbstmordattentat, das ein Kind ausgelöst hat. Ein großer Teil der Getöteten war unter 14 Jahren. Die türkische Regierung vermutet den Islamischen Staat hinter dem Mordanschlag. Dadurch sollte die Feindschaft zwischen den Volksgruppen der Türkei vergrößert werden. - ZUr gleichen Zeit wird in Deutschland bekannt, dass ein neues Zivilschutzkonzept in Kürze der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Darin wird unter andem empfohlen, immer einen Lebensmittelvorrat von 10 Tagen vorzuhalten und trinkbares Wasser für fünf Tage - je zwei Liter pro Haushaltsmilties am Tag. Diese Nachricht hat nichts mit der Terrorgefahr zu tun, sondern teilt das Ergebnis einer routinemäßigen behördlichen Anpassung von Vorsorgemaßnahmen für einen eventuellen Kriegsfall mit. Im Kontext der mittlerweile auch fast routenmäßig zu Kenntnis genommenen Nachrichten wie die aus Gazientep wirkt die Nachricht aber irgendwie deplaziert. Die Terroranschläge zeigen, wie begrenzt die Möglichkeiten materieller Vorsorge sind. Was gebracuht wird, sind mentale Vorsorgemaßnahmen - aber da ist ein Bundesamt überfordert.
20. - Sonnabend
Niht viel los heute - Sommerloch und ein bisschen olympischer Friede. Da ist Platz in den Nachrichten für kleine Scherze wie den eines SPD-Abgeordneten, der feststellt "Bekanntnlich werden in der Ostsee häufiger Buckelwale gesichtet als Burka-Trägerinnen in Deutschland." Mag sein, aber die Ausländerfeindlichkeit ist ja bekanntlich da besonders groß, wo es wenige von ihnen gibt.
19. - Freitag
Mal was Neues: VW streitet sich mit zwei Zulieferfirmen aus Sachsen. Die liefern Getriebeteile und Sitzbezüge nicht mehr, weil sie sich vom Großkonzern schlecht behandelt fühlen. VW zieht vor Gericht und verhandelt gleichzeitig, kann aber erst mal keine neue Golf-Modelle ausliefern. Kurzarbeit für 20.000 Mitarbeiter steht an. Das klingt alles ziemlich exotisch - Schulzuweisungen von beiden Seiten, wie man sie aus der internationalen Politik kennt. Während dort die Folgen allerdings für viele Menschen tragisch sind, handelt es sich hier eher um eine Komödie.
18. - Donnerstag
"Gesicht zeigen" ist das neue Motto, mit dem Politiker einen radikalen Islam in die Schraken weisen wollen. Er richtet sich gegen die Burka. Sie soll in Deutschland verboten werden, zumindest im "öffentlichen Raum". Es geht dabei nicht um die Bekämpfung von Terrorismus, sondern um die Bewahrung einer offenen Gesellschaft. Klingt gut, ist aber gar nicht so einfach. Burka-Trägerinnen gibt es in Deutschland kaum, zeigt eine kleine Internet-Recherche, wohl aber den Hiqab, bei dem immerhin noch die Augen der Trägerin zu sehen sind. Es wird geschätzt, dass es in Deutschland einige hundert Trägerinnen dieser Bekleidung gibt. Ob sich da ein Verbot lohnt? Einer der Propagandisten dieser Idee ist auch schon zurückgerudert: Die Debatte über die Frage sei wichtiger als die beabsichtigte Maßnahme. Das könnte in der Tat einer offenen Gesellschaft angemessen sein - diskutieren und wenn es denn irgendwie geht: Betroffene fragen, wenn sie denn irgendwo anzutreffen sind.
17. - Mittwoch
Der "Burkini" macht mal wieder Schlagzeilen, jener Ganzkörperbadeanzug, den manche Muslimas tragen, wenn sie in der Öffentlichkeit baden gehen. In einigen Orten Südfrankreichs ist er schon veboten worden, jetzt stellt sich auch der französische Ministerpräsident hinter solche Maßnahmen. In Frankreich ist ja auch die trockene Variante des Kleidungsstücks, die Burka, verboten. Die Begründung: "Der Burkini ist nicht ein neues Modell von Badanzügen, eine Mode. Er ist die Übersetzung eines politischen Projekts, einer Gegen-Gesellschaft, die unter anderem auf der Unterjochung der Frau fußt." Der Burkini an Nizzas Stränden als Vorbote der Übernahme der Macht an der Cote d'Azur durch den Islamischen Staat?
16. - Dienstag
Die Nachricht des Tages: Nach Erkenntnissen des Bundesnachrichtendienstes arbeitet die tükische Regierung mit islamistischen Organisationen wie der palästinensischen Hamas und der ägyptischen Muslimbruderschaft zusammen. Erstere wird hierzulande als Terrororganisation eingestuft. Diese Erkenntnis ist das Ergebnis der Antwort einer kleinen Anfrage aus der Fraktion "Die Linke" und es sieht so aus, dass die Veröffentlichung etwas voreilig war. Das Auswärtige Amt war nicht informiert, waas angesichts einer so brisant scheinenden Meldung verwundert. Was die Brisanz angeht, so ist hinzuzufügen, dass die Muslimbrüder vor Jahren einen gewählten Präsidenten stellten, der nach einem Militärputsch nun im Gefängnis sitzt. Und die Hamas kämpft nich nur gegen Israel, sondern auch für einen eigenen palästinensischen Staat, ein Anliegen, das von der Bundesrepublik prinzipiell unterstützt ist. Kurz: Im Nahen Osten ist überhaupt nicht zu unterscheiden, wer ein "terrorist" ist und wer nicht. - Ach ja: Präsidentschaftskandidat Trump hat nun auch Angela Merkel beleidigt. Ihre Flüchtlingspolitik habe Deutschland ins Unglück gestürzt - und Merkels Schwester im Geiste, Hillary Clinton, wolle es ihr nun nachmachen.
15. - Montag
Außenminister Steinmeyer kann seinen russischen Kollegen nicht überzeugen, die Waffenruhe in Aleppo länger auszudehnen als die angekündigten drei Stunden täglich. Jede Verlängerung würde von den "Terroristen" in der Stadt genützt. Die Wortwhl macht deutlich, was hinter der Weigerung steckt. Russland sieht die Dinge mit den Augen ihres Verbündeten Assad, Deutschland will den weghaben und unterstützt - im Prinzip - die Rebellen, wenn sie nicht zu islamisch sind. Ein Grundsatzstreit, unter dem die Menschen in der umkämpften Stadt leiden.
14. - Sonntag
Fidel Castro feiert in Havana seinen 90. Geburtstag. Vladimir Putin gratulierte ihm und der Präsident des bankrotten Venezuela kam auch zur Geburtstagsfeier im Karl-Marx-Theater der Hauptstadt. Sonst gab es wohl wenig ausländische Gratulanten. Versöhnlicher ist der alte Herr im Alter nicht geworden. In einem Brief an seine Lanmdsleute kritisierte er Präsident Obama, der kürzlich im Lande war, um die amerikanische Blockade des Landes aufzuweichen, weil der sich in Hiroshima nicht für den Abwurf der Atombombe entschuldigt hatte. Ein Zeichen von Altersstarrsinn oder die Prinzipentreue, die in seinem Vornamen steckt. Auf jeden Fall ist der Begründer des einzigen kommunistischen Staates in der westlichen Hemisphäre ein Beispiel wie schwer es ist, eine politische Befreiung für alle zustande zu bringen. Ziemlich die ganze kubanische Oberschicht ist nach der Revolution in die USA ausgewandert - weitgehend mit kubanischer Unterstützung.
13. - Sonnabend
Olympia einmal anders heute. Erst gewinnt der Bruder des in der Qulifikation ausgeschiedenen Olypiasiegers von vor vier Jahren die Goldmedaille im letzten Wurf des Wettbewerbs. Dann provoziert er mit seiner Haltung bei der Siegerehrung einen shitstorm in den sozialen, aber auch den seriösen Medien: Keine stramme Haltung, zwischendurch ein leichtes Kopfschütteln, ein Lächeln auf dem Gesicht. Keine Ehrfurcht - und vor allem: Hinterher kein Gespräch mit Journalisten. Zweifellos: hier ist ein Exzentriker Olypiasieger geworden, ein Individualist, der die Leistung nur für sich und nicht für Deutschland vollbracht hat - und man könnte den Sturm der Entrüstung, den er ausgelöst hat, so interpretieren, dass er das mit seinem "unwürdigen" Verhalten die mediale Olypia-Show als ein höchst bizarres und verlogenes Unternehmen entlarvt hat. Aus christlicher Perspektive war das schon von Beginn an zu bemerken. Dort wird die Christusstatue, die die Stadt segnet, ständig in einer Art präsident als verleihe sie dem Spektakel ihren geistlichen Segen.
12. - Freitag
Nun hat es einmal wieder Tote in Thailand gegeben. Eine Reihe von Anschlägen in verschiedenen Orten im Südeb des Landes haben vier Tote gefordert. Unter den Verletzten waren auch deutsche Touristen. Die Militärregierung lässt verkünden, dass es sich nicht um einen Terroraschlag handelt, sondern um "Sabotageakte", die interne Gründe haben. Davon gibt es im Lande viele, der von Militär und Justiz unterdrückte Kampf zwischen den königstreuen und städtischen "Gelben" und den ansatzweise republikanischen "Roten" auf dem Lande, der lange schwelende Konflikt um die von muslimischen Malaien bewohnten Provinzen an der thailändischen Grenze, die Abneigung gegen das Militär, das seit 2006 die Politik des Landes dominiert, und schließlich die Unsicherheit, was passieren wird, wenn der alte König eines Tages stirbt.. Angesichts so viel ungelöster Konflikte im "Land des Lächelns" ist es nur logisch, wenn es kracht. Und die Tourismusindustrie ist ein wichtiger Wirtschaftssektor. Wenn der beschädigt wird, kommt jede Regierung in Schwierigkeiten.
11. - Donnerstag
Diw Ukraine vesetzt sein Militär in Alarmbereitschaft, nachdem Russland behauptet hat, auf der von ihr annektierten Krim seinen Terroranschläge geplant worden. Außerdem setzte das Land weitere Gespräche über das Minsker Friedensabkommen aus. Auch hier ist es das gegenseitige Misstrauen, das eine Lösung des Konflikts verhindert und ständiges Säbelrasseln provoziert.
10. - Mittwoch
Die CDU will als Antwort auf die jüngsten Attentate in Deutschland Gesetze verschärfen und u.a. siw doppelte Staatsbürgerschaft abschaffen, die u.a. für in Deutschland geborene Türken gilt. Man könne nur einem Land gegenüber loyal sei, ist der Tenor der Begründung. Das ist eine ziemlich nationalistische Antwort auf den Nationalismus, der gerade im Blick auf die Türkei kritisiert wird.
9. - Dienstag
In Moskau versuchen die Präsidenten Putin und Erdogan einen Schulterschluss, nachdem Russland den Abschuss einer Militärmaschine vor einiger Zeit zum Anlass für einen Boykott genommen hatte. Die beiden Autokraten finden nach dem alten Motto "Der Feind meines Feindes ist (bis auf Weiteres) mein Freund" zusammen. Gemeinsame Feinde haben sie im Westen genug.
8. - Montag
Bei den olympischen Spielen hat Deutschland immer noch keine
Medaille. Das bringt manchen auf die Palme, etwa einen Reporter, der den Wettbewerb der Vielseitigkeitsreiter - eine aus der Kriegskunst abgeleitete Disziplin wie der frühere Name "Military"
zeigt - kommentiert. Das Pferd der ersten deutschen Reiterin springt nicht so, wie es soll. Der Reporter ist wütend und meint, die Reiterin habe offenbar ihr Handwerk vergessen, sei ein Angsthase
und habe die Hosen voll. Keine Spur von Mitgefühl, das reine Leistungsdenken. Sport verbindet - eher nicht. - Und dann kommt noch die Nachricht, dass die russische Paraolympik-Mannschaft wegen
systematischen Dopings von den Spielen im September ausgeschlossen werden wird. Bei den Nicht-Behinderten hat man sich das nicht getraut. - Nachtrag, einige Tage später: Der Reporter hat sich bei
der Reiterin entschuldigt, die aber hat die Entschuldigung noch nicht angenommen. Dazu müsse sie erst mal den Kommentar anschauen, aber es könne dauern, bis sie dazu in der Lage
sei.
7. - Sonntag
In Istanbul versammeln sich Menschenmassen, um die Demokratie Erdogans zu unterstützen. Die Versammlung wirkt gruselig und erinnert nicht nur mich an Massenversammlungen totalitärer Staaten. Deutlich wird einmal wieder: In der Türkei - und in vielen anderen Ländern - wird "Demokratie" von den Mehrheiten anders buchstabiert als bei uns. Was unsere Politiker aufregt, ist die erneute Ankündigung des Präsidenten, auf Wunsch "des Volkes" die Todesstrafe wieder einzuführen. Wenn das passiert, sind die Beitrittsverhandlungen mit dem Land über eine EU-Mitgliedschaft zu Ende. Das klingt ein bisschen bigott angesichts der Tatsache, dass sie in den USA immer noch praktiziert wird.
6. - Sonnabend
Die österreichische Regierung spricht Klartext. Schon vor einigen Tagen hatte der Ministerpräsident gesagt, die Beitrittsverhandlungen mit der EU sollten beendet werden. Nun legt der Außenminister nach: Auch das Flüchtlingsabkommen doll aufegkündigt werden. Diese deutlichen Worte sind wohl auch gefallen, weil im nächsten Monat erneut die Möglichkeit besteht, dass Norbert Hofer, der Kandidat der Freiheitlichen und extrem europakritischen Partei zum Präsidenten gewählt wird. Außerdem, könnte man hinzudenken, die Balkan -Route ist zu, da ist die Türkei als Partner nicht mehr so nötig. - Im Rest des westlichen Europas bleibt man bei dem bisherigen verbalen Spagat: Die Türkei hat zwar keine Chance, in nächster Zeit in aufgenommen zu werden, aber man will weiter mit ihr über den Beitritt reden.
5. - Freitag
Die olympischen Spiele beginnen in Rio und es gibt Pfiffe für den Mann, der die Präsidentin bei der Eröffnungsfeier vertritt. Ihre Präsidentschaft ruht - wohl auf Grund einer Intrige - bis zur Klärung der gegen sie erhobenen Vorwürfe. Journalistische Pfiffe ertönen auch in einer Reportage der Süddeutschen Zeitung. Das große Fest ist völlig korrumpiert. In der Dopingfrage hat es einen Kotau vor Präsident Putin gegeben. Und dass in diesem Kontext am Abend auch eine Flüchtlingsmannschaft einmarschieren wird, ist eher beklemmend als wegweisend. Allerdings: Würde die ganze Welt die Orte, an denen sich Flüchtline aufhalten, als ein eigenständigen Staatsgebilde ansehen, unterstützen und vielleicht sogar einen Sitz im UN-Sicherheitsrat geben, wären wir einen großen Schritt weiter.
4. - Donnerstag
Am Rande meines Trainings für Experten nach Myanmar in der Akademie für Internationale Zusammenharbeit in Bad Honnef höre ich diese Geschichte: Eine Deutsche mit Migrationshintergrund aus einem asiatischen Land leitet einen Deutschkurs in einer Volkshochschule. Die Teilnehmer kommen fast ausschließlich Männer aus Syrien und dem Iraq. Gleich nach der ersten Sitzung hat sich eine große Anzahl von ihnen beschwert: Sie hätten etwas "Besseres" verdient, eine "richtige" Deutsche als Lehrerin.
3. - Mittwoch
Zum Beginn eines Seminars über Myanmar für zwei alsbald ins Land Reisende lese ich die neuesten Nachrichten aus dem Land. Ande des Monats soll da eine große Friedenskonferenz unter Leitung der Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi stattfinden. Sie wird den Namen des Orten tragen, in dem ihr Vater 1947 ein Abkommen mit Führern ethnischer Minderheiten schloss, das einen gemeinsamen Gang in die Unabhängigkeit vorsah. In diesem POanglong versammelten sich jetzt schon Jugendvertreter von 26 ethnischen Gruppen. Sie wollen Ende des Monats auch dabei sein. Schließlich gehöre der Jugend die Zukunft. Diese Forderung wird von den ethablierten Friedensverhandlern abgelehnt. Es sind ja ohnehin schon sehr viele Gruppen beteiligt. Hier deutet sich ein Generationenkonflikt an wie er in Europa auch schon beim Brexit sichtbar wurde als die älteren Briten dafür sorgten dass die Jüngeren wohl außerhalb der EU leben müssen.
2. - Dienstag
Einer kleineren Nachricht des heutigen Tages ist zu entnehmen, dass Donals Trump schon für den Fall seiner Wahlniederlage vorbaut. Die Wahlen vom 8. November könnten manipuliert werden, lässt er seinen Anhämgern mitteilen. So entwickelt man eine Verschwörungstheorie.
1. - Montag
Nach der Demontrastion von regierungstreuen Türken in Köln beherrscht weiter das Türkei-Thema die Nachrichten. Der Außenminister des Landes hat angekündidigt, dass das Flüchlingsabkommen aufgekündigt werde, wenn die Visafreiheit für türkische Bürger nicht bis Oktober erfolgt sei. Die Reaktion auf deutscher Seite: Milde Empörung. Ultimaten nützen nicht. DIe Türkei muss sich bewegen und die 72 Bedingungen erfüllen, die die EU aufgestellt hat, vor allem im Blick auf die Änderung der Anti-Terror-Gesetze. Auf beiden Seiten also: Rhetorische Aufrüstung.
Juli
2016
31. - Sonntag
Die Versammlung der türkischen Anhänger ihrer Regierung unter dem Motto "Ja zur Demokratie - Nein zum Staatsstreich" hat ca. 40.000 Menschen angezogen. Auf der Versammlung war es friedlich, drumherum eher nicht. Schon ein paar Tage vorher hatte ein prominenter CDU-Politiker gesagt "Wer der Abwicklung der türkischen Demokratie applaudiert, steht nicht auf dem Boden unseres Grundgesetzes." Soll wohl heißen: Der muss damit rechnen, dass ihm die Ausreise empfohlen wird. Auf der anderen Seite kommen auch aus Ankara scharfe Töne. Dass der Staatspräsident der Versammlung nach einerm Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht direkt eine Video-Botschaft übermitteln durfte, nennt der türkische Justizminister eine "Schande für die Demokratie". Es geht also um die Definitionshoheit dessen, was unter "Demokratie" zu verstehen ist. Die beansprucht jede Seite für sich, womit der Streit zu einem über Prinzipien wird, da "Demokratie" für beide Seiten ein universal gültiges Gut ist. Ein Ausweg: Es wird anerkannt, das "deutsche" und "türkische" Demokratie nicht identisch sein müssen und dass in der Fage der jeweiligen Auslegung das Heimrecht gilt. Da beide Seiten darauf bestehen, dass ihre Auslegung auch auf dem Boden des jeweils anderen Staates Gültigkeit haben soll, sind Konflikte vorprogrammiert.
30. - Sonnabend
Ein Sightseeing-Bummel durch Hamburg mit einer angereisten Familie. Das Rathaus, die Hafencity samt Elbphilharmonie, schließlich der DOM, das größte Volksfest im Norden für die Kinder. Strahlender Sonnenschein und nichts zu spüren von irgenwelchen Bedrohungen. Auf dem Heiligengeistfeld, dem Platz, auf dem die Schausteller ihre Attraktionen aufgebaut haben, herrscht reges Treiben und es gibt keinerlei Kontrollen oder Anzeichen erhöhter Polizeipräsenz. Beruhigend !?
29. - Freitag
Durch die türkischstämmige Bevölkerung in Deutschland gehe ein Riss, stellt ein Vertreter der "Türkischen Gemeinde" fest. Die Spannungen zwischen Anhängern des Präsidenten und seinen Gegnern belasten die Atmosphäre in türkischen Verbänden und aiuch in einzelnen Famlien. Es besteht anlass zur Sorge, insbeondere im Blick auf die für Sonntag geplante Demonstration von Erdogan-Anhängern in Köln. Was zu tun sei - außer zur Besonnenheit auszurufen - sagt er nicht. Er steckt in einem Dilemma. Seine freüheren Äußerungen zeigen, dass er eher ein Erdogan-Krtiker ist, zugleich muss er alle Landsleute hier vertreten.
28. - Donnerstag
Die Kanzlerin unterbricht ihren Urlaub und gibt eine Pressekonferenz, bei der die jüngsten Anschläge in Bayern im Mittelpunkt stehen. Dabei wiederholt sie ein wenig trotzig ihr "Wir schaffen das", macht aber zugleich deutlich, wie sehr ihr die Taten von Geflüchttgeten selbst zu schaffen machen. Die Attentäter, die hier Aufnahme gefunden haben, haben das Land, die Helfer und andere Flüchtlinge verhöhnt. Diese dreifache Wiederholung des Wortes "vehöhnen" wäre früher so etwas wie eine Fluchformel oder ein Bann gewesen. Damit wird die Willkommenskultur extrem scharf in einer Art eingegrenzt, die Überlegungen der Art, dass die schlimmen Taten auf dem Hintergrund der viel beschworenen Traumatisierung von Ankömmlinge verstehbar sein könnten, nicht zugelassen sind.
27. - Mittwoch
Der französische Präsident trifft sich mit Repräsentanten der großen Religionen in seinem Land - Buddhisten inbegriffen - als ein Zeichen für religiöse Toleranz, nachdem die religiöse Seite der Attentate in seinem Land durch den Mord eines Priesters in einer Kirche auf dem Land besonders deutlich geworden ist. Zugleich kritisiert der Papst bei seinem Antrittsbesuch in Polen die zu seiner Begrüßung gekommene Fürhrung des Landes wegen deren Weigerung, Flüchtlinge aufzunehmen. Beides gut gemeint, aber möglicherweise eher kontraproduktiv. In Polen wird dadurch die Spaltung zwischen der gewählten Regierung und ihren - aus Westeuropa unterstützten - Kritikern noch größer, und die Religionsführer haben in einem säkularisierten Land wie Frankreich keinen Einfluss auf extreme Dissidenten.
26. - Dienstag
Die Serie von Anschlägen in Bayern hat naturgemäß Folgen, zumal sie durch einen weiteren Anschlag in Frankreich - Überfasll auf eine Kirche und die Ermordung eines Priesters - noch eine Fortsetzung findet. Es geht um die innere Sicherheit. Dabei konzentriert sich die Diskussion um die Verstärkung der Polizei, den Einsatz der Bundeswehe etc. Die Frage, wie der inneren Verunsicherung von Teilen der Bevölkerung begegnet werden kann, wird nicht gestellt. Diese Verunsicherung ist ja eine Folge der Globalisierung und der durch sie entstandenen "Risikogesellschaft", in der wir die Gefahren, von denen Menschen rund um den Globus betroffen sind, am eigenen Leib und noch mehr an der eigenen Seele spüren. Einer weiteren Spaltung von Gesellschaften in die "Guten" und die "Bösen" kann nur begegnet werden, scheint mir, wenn wir uns trauen, die Zwiespältigkeit der menschlichen und gesellschaftlichen Existenz neu zu buchstabieren.
25. - Montag
Schon wieder eine Unglücksnachricht aus Bayern und dieses
Mal ein Selbstmordattentat. In Ansbach hat bei einem Musikfestival ein syrischer Flüchtling eine Bombe gezündet. Außerdem Attentäter gibt es keine Tote, aber 15 Menshcen werden versetzt,
vier davon schwer. In der Unterkunft des Attentäters findet die Polizei Hinweise darauf, dass die Tat den mittlerweile sprichwörtlichen "islamistischen Hintergrund" hat Zudem geschah die Tat whl
auch aus Verzweiflung. Der Asyalntrag des Syrers war abgelehnt worden, er sollte nach Bulgarien abgeschoben werden, wo er bei der Einreise in die EU registriert worden war. Er hatte schon zweimal
versucht, Selbstmord zu begehen. Das alles, fürchte ich, wird die Diskussion im Lande weiter aufheizen.
24. - Sonntag
Der Amoklauf vom Sonnabend in München hat Programmänderungen zur Folge. In der ARD moderiert Frank Plasberg anstelle von Anne Will eine Talkshow zum Thema "Angst". Dabei wird deutlich, dass nach tödlichen Attacken, die aus heiterem Himmel zu kommen scheinen, die Betroffenen einen nicht auszugleichenden Verlust erleiden, der sie ihr weiteres Leben begleitet. Das gilt für direkt Betroffene wie die Mutter eines Mädchens, das vor sieben Jahren in Winnenden von einem 17jährigen erschossen wurde. Es ist ihr anzusehen, dass das in diesen Tagen allzu oft beschworene Wort "unbegreiflich" einen Dauerzustand bedeuten kann, und das wohl in anderer Art & Weise auch für nicht direkt Betroffene, sondern für Anteilnehmende. Es könnte sein, dass dies "Ungebreifliche" die eigenliche Macht des Terrors welcher Art auch immer ausmacht. Er trennt Menschen von der Gewissheit, dass "alles gut werden wird" und hat Resignation und Verzweiflung zur Folge, die wiederum nichts Gutes bringen. Ein Teufelskreis.
23. - Sonnabend
Es herrscht eine merkwürdige Art der Erleichterung nach den Schüssen in München, bei der neun überwiegend Jugendliche zu Tode kamen sowie der 18jährige Schütze, der sich selbst tötete. Es herrscht eine gewisse Art der Erleichtuerung darüber, dass der "Fall" keinen islamischen Hintergrund hat, sondern als ein Amoklauf eingestuft werden kann. Der junge Mann hat sich vorher wohl intensiv mit dem Überfall eines ehemaligen Schülers in einer Schule in Winnenden befasst, bei dem es 15 Todesopfer gab.Außerdem wird die deutsche Polizei gelobt, die sehr umsichtig und professionell gehandelt habe. Die Bundeskanzlerin lobt auch die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung und hält fest: "In dieser Freiheit und Mitmenschlichkeit liegt unsere größte Stärke". - In den Nachrichten wird kurz erwähnt, dass in Kabul bei einem Selbstmordanschlag mindestens 80 Menschen gestorben sind. Es sieht so aus als ob unser Land immer noch als eine Art Insel der relativ Seligen beschworen wird, auf der Unglück gemeinsam bewältigt wird.
22. - Freitag
Die Tagesschau hat schon begonnen als wir den Fernsehen um acht Uhr einschalten. Sie ersetzt den ganzen Abend über das vorgesehene Programm mit Berichten von den Schüssen, die bei einem Münchner Einkaufszentrum gefallen sind, und ihren tödlichen Folgen. Die Hauptstadt Bayerns befindet sich im Ausnahmezustand und das trifft auch auf das Fernsehen zu. Da dürfte es Wechselwirkungen geben.
21. - Donnerstag
Nachrichten in Zeitungen und im
Fernsehen führen heute gleich drei gespaltene Gesellschaften vor. In Nizza steigt die Ablehung gegen muslimische Fremde, in der Türkei bejubeln die Anhänger Erdogans die Säuberung des Landes von
den angeblichen Verrätern und in Cleveland gibt es Hassgesänge gegen Hilary Clinton, Donals Trumps vermutliche Gegegnerin im bevorstehenden Wahlkampf.
20. - Mittwoch
In der Türkei wird für drei
Monate der Ausnahmezustand verhängt. Präsident Erdogan baut seine Macht aus und schottet sein Land weiter ab. Tenor der Kommentare: Der Putsch ein Werk von Amateuren, die Antwort darauf ist
professionell und von langer Hand vorbereitet. Die Überlegung, ob diese Abschottungstendenzen hätten gemildert werden können, wenn die Europäische Union Erdogans Wünsc hen, in die Gemeinschaft
aufgenommen zu werden, früher etwas freundlicher behandelt hätten, wird kaum noch geäußert. Angesagt ist, "klare Kante" zu zeigen.
19. - Dienstag
Erster Arbeitstag der der
Myanmar-Tagung in der Uni Passau mit einer Serie von Vorträgen über die politischen Entwicklungen im Land. Eine prominente Sozialaktivistin aus dem nördlichen Kachinstaat, in dem Bürgerkrieg
herrscht, beklagt, dass Myanmar immer noch vom Militär beherrscht wird, wenn auch teilweise verdeckt, und dass die unterschie4dlichen Ethnien marginalisiert werden. Dass die nationalistische
Bewegung in "ihrem" Staat" eine Konferenzklimas führen. Wir spalten ein Stück Wirklichkeit ab. Das geschieht teils aus Bequemlichkeit, teils aber auch aus Überforderung. Die gestrige Axt-Attacke
eines, wie sich jetzt herausstellt, jungen Afghanen bei Würzburg kommt in unserem Seminar nicht zur Sprache, obwohl sie gut in das Bild eines "Kriegs der Kulturen" passen könnte, ser sich in
verschiedenen Gegenden unseres Globus in verschiedener Form zeigt. - Am Abend wird dann klar, dass meine gestrige Ahnung im Blick auf das Attentat von gestern berechtigt war. Eine
Nachrichtenmoderatorin befragt den Flüchtlingsbeauftragten der Regierung in fast hysterischem Ton, was die Regierung denn zu tu gedenke, damit "so etwas" nicht wieder
vorkommt.
18. - Montag
Auf dem riesigen
Fernsehbildschirm in einem Hotelzimmer in Passau, wo ich für eine Myanmar-Tagung untergebracht bin, läuft in der ARD um kurz nach 22 Uhr noch ein trauriger Film über die Olympischen Spiele von
1936. Der hört auch nicht auf als ich die spätabendliche Nachrichtensendung erwarte. Ich überlege gerade, ob ich hie in einem Kanal gelandet bin, der alte Sendungen ausstrahlt, als am unteren
Bildrand eine Eilmeldung angezeigt wird: In der Nähe von Würzburg - da bin ich gerade durchgefahren - hat jemand in einem Nahverkehrszug Menschen mit einer Axt angegriffen und schwer verletzt. Es
dauerst mehr als eine halbe Stunde, bis dann die Nachrichten dran sind. Der Moderator weiß auch nicht mehr als in der Eilmeldung stand und dasselbe trifft für einen Reporter zu, der befragt wird.
Es ist aber zu ahnen, dass das Publikum hier auf eine neue Schreckensmeldung vorbereitet wird: Der "Terror" hat nun auch die Bundesrepublik erreicht.
17. - Sonntag
Im Radio höre ich am Morgen einen entzückenden Beitrag unter dem Titel "Es kommt, wie es kommt" zum Thema einer recht verstandenen Schicksalsgläubigkeit. Der Autor rät dazu, sich von den Sorgen zu verabschieden, durch die nichts besser wird. Es werden viele alte Weisheiten bemüht, ist aber trotzdem wohltuender Balsam in diesen Zeiten der allgemeinen Aufgeregtheit.
16. - Sonnabend
Der Putschversuch in der Türkei war
erfoglos, aber ziemlich blutij. Zum Scheitern hat wohl auch beigetragen, dass viele4 Bürger dem Aufruf Erdogans gefolgt sind, sich den Putschisten auf der Straße entgegenzustellen. Der
Präsident hat dann gleich 2.800 Richter "freigestellt". Warum, erklären die Nachrichten nicht. Die Putschisten sind weitgehend gefangenen gernommen worden und werden hart bestraft. Das Militär
wird jetzt "gesäubert", so Erdogan. Das klingt gar nicht gut - ebenso wenig wie die gebetsmühlenartigen Stellungnahme aus Europa, die die Werte der Demokratie
beschwören.
15. - Freitag
Ein Feuerwerk am Himmel von Nizza zum gestrigen französischen Nationalfeiertag und auf dem Asphalt der Uferpromenade die Amokfahrt mit einem Lastwagen, die mindestens 84 Menschen tötet. Der Täter kommt aus Tunesien, ist aber bisher nicht wegen irgendwelcher islamistischen Kontakte auffällig geworden. Aber "Terrorexperten" sagen, dass der IS schon mal dazu aufgerufen habe, Autos zu benutzen, um Menschen zu töten. Das ist ein Versuch, der Sinnlosigkeit einen Sinn zu geben. Gruselig. - In der Nacht zeigen die Nachrichten dann, dass auf Nizzas Stra0en schon wieder Kaffee getrunken wird - und dann kommen die Nachrichten von einem Putschversuch von Teilen des Militärs in der Türkei. Der Geist des Zwangsmodernisierers und Diktators Atatatürk wird gegen den neuen Sultan Erdogan aufgerufen.
14. - Donnerstag
Vor einem Jahr machte die Begegnung von Angela Merkel mit einem jungen Flüchtling aus Palästina Schlagzeilen. Das Mädchen hatte geweint, nachdem die Kanzlerin ihr bei einer öffentlichen Veranstaltung geantwortet hatte, Deutschland könne nicht alle Flüchtlinge aufnehmen. Heute ist Reem Sahvil im Kanzleramt gewesen und es sieht so aus, dass für sie und ihre Familie alles gut wird. Sie werden bleiben können. - Dann gibt es noch einmal böse Kommentare zur Ernennung von Boris Johnson zum britischen Außenmiister, vor allem von Seiten der SPD. Einer ihrer Politiker kommentierte die Ernennung so: "Das ist als ob Dracula Gesundheitsminister würde."
13. - Mittwoch
Überraschung in London. Die neue Premierministerin hat Boris Johnson zum Außenminister der neuen Regierung ernannt. Der frühere Bürgermeister von London war einer der einflussreichsten Befürworter des Brexit. Nachdem er sich nicht als Kandidat für die Nachfolge David Camerons beworben hatte, war er heftig als Drückeberger gescholten worden. In den Kommentaren ist nichts davon zu merken, dass solche Urteile relativiert werden. Die Maßnahme wird als Zeichen des britischen Humors gewertet. Das Votum der Briten hat offenbar viele Beobachter schwer verstört.
12. - Dienstag
Die Nord-Süd-Spaltung Europas ist noch nicht beendet. Gegen Portugal und Spanien verhängt die EU Geldstrafen wegen Verletztung des Stabilitäts- und Wachstumpaktes. Die Neuverschuldung war zu hoch. Außerdem wird diskutiert, wie mit den faulen Krediten umgegangen werden kann, die sich bei italienischen Banken angehäuft haben. Wolfgang Schäuble wiederholt sein Mantra "Regeln müssen eingehalten werden." Allerdings steht auch im Raum, dass die Strafe für die beiden Länder auf der iberischen Halbinsel 0 Euro betragen könnte.
11. - Montag
In Hamburg hat es eine Einigung in einer heiklen Frage gegeben, die die Unterbringung von Flüchtlingen betrifft. Eine Volksinitiative gegen große Flüchtingsheime hat sich mit dem Senat geeinigt. Damit ist ein Volksentscheid abgewendet worden - und wahrscheinlich auch eine Reihe weiterer Klagen von Anwohnern solcher Unterkünfte. In Flüchtlingsheimen sollen nicht mehr als 300 Menschen untergebracht werden. Die Einigung zeigt, dass es eine Alternative zur Aufheizung der öffentlichen Diskussion und der Polarisierung gibt.
10. - Sonntag
Die Ergebnisse der Untersuchung des Bundeskriminalamtes zu den Übergriffen auf Frauen in der letzten Silvesternacht werden bekannt: 900 Sexualdelikte an 900 Opfern wurden registriert. 120 Verfahruen wurden eingeleitet. Neulich wurden zwei Kölner Täter zu Bewährunhsstrafen verurteilt. Die Beweislage ist schwierig. und die Verdächtigen sowie ihre Rechtsanwälte nutzen das aus. Von einem, der sich freiwillig gestellt hat, ist nichts bekannt. Hier liegt ein schwieriges Problem, das sich zugespitzt so formulieren lässt: Die Integration von Migranten in das deutsche Rechtssystem verläuft problemlos, aber einseitig auf Kosten der Opfer. Das ist ein explosiver Tatbestand.
9. - Sonnabend
Beim NATO-Gipfel in Warschau spricht die deutsche Bundeskanzlerin mit dem türkischen Präsidenten über die Besuchsmöglichkeiten von deutschen Abegordneten bei den an der syrischen Grenze stationierten deutschen Soldaten. Es gibt keine Annäherung. Angeblich verlangt Erdogan eine Distanzierung der Kanzlerin von der Armenien-Resulution. Gleichzeitig beschließt die NATO, weitere Aufklärungsflugzeuge in der Türkei zu stationieren. Da sind auch Deutsche beteiligt und der Einsatz muss vom Bundestag beschlossen werden. Das kann spannend werden. Parlamentarier schicken Soldaten in ein Land, in dem sie sie dann nicht besuchen dürfen. Das wird heikel.
8. - Freitag
Schon wieder die USA - jetzt sind sieben weiße Polizisten in Dallas von einem Heckenschützen erschossen worden und das in der Nähe des Ortes, wo Präsident Kennedy 1962 erschossen wurde. Die Nachrichten im Ersten berichten ausführlich - aber verschweigen die Hautfarbe des getöteten Attentäters. Angst vor einer zunehmenden Fremdenfeindlichkeit hierzulande? Die amerikanischen Politiker - Trump eingeschlossen - betonen die Einheit des Landes. Die Waffengesetze bleiben aber.
7. Donnerstag
Ein NATO-Gipfel in Polen steht vor der Tür. Angela Merkel kündigt in diesem Zusammenhang eine unveränderte Haltung gegenüber Russland an. "Abschreckung und Dialog" heißt die Kurzformel. Die Abschreckung besteht daran, dass mehr Soldaten nach Polen und die drei baltischen Staaten geschickt werden. Der Dialog besteht aus der ausgestreckten Hand, die Russland jederzeit entgegengehalten wird. Die Strategie ist mit einer klaren Schuldzuweisung in Richtungg Moskau verbunden. Russlands Haltung in der Ukraine-Krise habe die Nachbarstaaten verunsichert. Alles gut nachvollziehbar und ein wenig Militärschach, nur das Wort "Abschreckung" finde ich ein wenig beängstigend.
6. - Mittwoch
Nach siebenjähriger Tätigkeit legt ein britischer Ausschuss sein Ergebnis zum Irak-Krieg vor, der im Jahr 2003 begann. Ergebnis: Die Regierung unter Premierminister Blair hat voreilig gehandelt, stützte sich auf falsche Geheimdienstmedlungen und handelte ohne UN-Mandat. Kritiker fordern eine Anklage wegen Kriegsverbrechen, Blair selbst meint, er steht zu der schwierigen Entscheidung von damals. Immerhin: Im letzten Oktober hatte er eingeräumt, dass der Islamische Staat ohne den Sturz Saddams wohl nicht entstanden wäre. Dass dieser Sturz ein Fehler war, wollte er aber nicht einräumen.
5. - Dienstag
Der heutige Tag zeigt, dass Spaltungen auch begrüßt werden können. Die Fraktion der Alternative für Deutschland (AfD) im Landtag Baden-Württembergs, die bei den letzten Landtagswahlen mit 23 Abgeordneten die drittstärkste Fraktion - vor der SPD! - geworden war, hat sich geteilt. Der Fraktionschef und 12 weitere Abgeordnete haben die Fraktion verlassen, nachdem ihr Antrag, einen Partlamentarier wegen antisemitischen Äußerungen aus der Fraktion auszuschließen, gescheitert war. Damit setzt sich eine Tradition von Spaltungen innerhalb der AfD fort. Gut so.
4. - Montag
Nun hat sich nach Boris Johnson auch der zweite englische Brexit-Propagandist aus der englischen Politik zurückgezogen. Nigel Farage war Chef der europakritischen Partei Ukip und Abgeordneter des Europaparlamentes. Seinen Posten als Parteivorsitzender gibt er auf, sein Mandat im Parlament nicht. Die Nachrichten und Kommentare im Fernsehen kommentieren den Rückzug mit einer ähnlichen Rhetorik wie er sie in seinen anti-EU Tiraden benutzt hatten - Lügner, Brandstifter, verantwortungslos etc. Wenn so der Geist der vielbeschworenen europäischen Werte beschworen wird, dann sieht es gar nicht gut aus, finde ich.
3. - Sonntag
In den Nachrichten wird der Terroranschlag in Bagdad mit über 100 Toten erst an dritter oder vierter Stelle erwähnt. Der Sieg der deutschen Fußballnationmannschaft kommt zuerst, danach ein Bericht über die Ansichten unseres Finanzministers zur Krise Europas. Die Toten im Irak sind mittlerweile offenbar zur Gewohnheit geworden, nicht nur in den Nachrichten. Dass man die Herren G.W. Bush und Blair, die Hauptverantwortlichen für die Destabilisierung des Landes und seiner Folgen, die sich von falschen Auskünften ihrer Geheimsienste zum Krieg verleiten ließen, zur Rechenschaft ziehen sollte, habe ich noch nirgendwo gelesen oder überlesen weil nicht auf das klein Gedruckte achtend.
2. - Sonnabend
Nun auch ein Anschlag gegen westliche Ausländer in Bangladesh. In einem Lokal wurden eine Reihe von Geiseln genommen. 20 von ihnen, vor allem Italiener, wurden getötet. Die Welt soll gespalten werden, sagt der deutsche Außenminister, und das sei pervers. Nun ja, das Attribut trifft sicher auf die Tat zu, an der Sppaltung sind sicher auch noch andere beteiligt als islamische Terroristen.
1. - Freitag
In Österreich hatt der Bundesverwaltungsgerichtshof die Wahl des Bundespräsidenten für ungültig erklärt. Bei der Auszählung hat es zu viele Formfehler gegeben. Auch wenn keine Manipulation bei der Stimmauszählung ermittelt werden konnte, war das Verfahren fehlerhaft. Im September treten der vor einigenb Monaten gewählte Ex-Grünen-Chef und der nur sehr knapp unterlegene Kandidat der rechtspopulistischen FPÖ noch einmal gegeneinander an. Es wird spekuliert, ob danach in der Folge des Brexit ein kleiner "Öxit" bevorsteht. Der Rechtsstaat hat gesiegt, und das könnte einen hohen Preis haben. Ein berdrohliches oder doch eher beruhigendes Paradox?
Juni 2016
30. - Donnerstag
Boris Johnson, der bekannteste Brexit-Propagandist Englands und frühere Bürgermeister Londons, bewibt sich nicht um den Vorsitz seiner konservativen Partei. Es regnet Häme nach dem Motto "Kaputtmachen ist leichter als aufbauen." Wohl wahr, aber ein Urteil darüber, ob er wirklich Unheil angerichtet hat, wird sich erst in einigen Jahren herausstellen. Zudem lässt sich der Enmtschluss auch als ein Akt weiser Einsicht sehen. Wie soll ein Mann, der so eindeutig Partei ergriffen hat, eine zerrissene Partei einen können?
29. - Mittwoch
Schon wieder: Ein Attentat auf einem Flughafen, diesmal nicht in Brüssel (wann war das noch ??), sondern in Istanbul. Wieder drei Attentatäter, die schießen und sich in die Luft sprengen, zusammen mit zahlreichen Flughafenbesuchern. Wieder gibt es hilf- und ratlose Kommentare in den Medien und trotzige Statements der Politiker. Jetzt stehen sie im Kampf gegen den Terror fest an der Seite der Türkei. Mir kommt ein abenteuerlicher Gedanke in den Sinn - ob der Zusammenhang zwischen martialischer Rhetorik und den menschenverachtenden Attentaten derart ist, dass eine Deeskalation der Rhetorik das Töten reduzieren könnte.
28. - Dienstag
Auf dem kleinen Workshop zur Unterstützung der Kirchen Myanmars halte ich einen kleinen Vortrag zum Bürgerkieg im nördlichen Kachinstaat des Landes, der einige Teilnehmer schockiert. Ich präsentiere einige Belege dafür, dass die baptistische Kirche des Landes den Krieg der Rebellenarmee massiv ideologisch unterstützt. Diese Kirchen werden wiederum von vielen westlichen Organisationen unterstützt, auch aus Deutschland. Derartiges ist in einem Konfliktgebiet kaum vermeidbar, aber was bedeutet es dann noch, die Förderung von Frieden Frieden und Versöhnung als Ziel der eigenen Unterstützung zu benennen?
27. - Montag
Workshop mit Mitarbeitern kirchlicher oder theologischer Einrichtungen, die mir Myanmar zu tun haben. Es geht darum, welche Chancen der Friedensprozess für das zerrissene Land unter der neuen von Aung San Suu Kyi geführten Regierung hat. Der Einleitungsvortrag des prominenten aus London eingeflogenen Gastes enthält eine Überraschung für mich. Das Militär ist sehr einverstanden mit der Rolle seiner ehemaligen Opponenten, sagt der Gast. Sie könne sich jetzt an die Aufgabe der Versöhnung machen, nachdem die Armee das Land mit der von ihr entworfenen Verfassung konsolidiert hat. Ob das jetzt dazu führt, das auch die ethnischen Minderheiten, zu denen die Mehrzahl der im Lande lebenden Christen gehören, auch schnell befriedet werden können, ist unklar. Ein langer Marsch steht bevor, um die bestehenden Konflikte zu entschärfen. Eine Aufgabe besteht darin, die babylonische Sprachverwirrung zu mildern, die darin besteht, dass alle verwendeten Begriffe - Demokratie, Föderalismus, Gleichberechtigung - von den beteiliogten Akturen im Lande und den ausländsischen Beobachtern unterschiedlich verstanden werden. Eine konkrete Aufgabe besteht darin, dass die Armee des Landes auch an ihgrer Spitze multiethisch wird. Kirchen und Gemeinen könnten also versuchen, junge Leute zu motivieren, den Dienst in der nationalen Armee zu treten. Das dürfte eine Idee sein, die bei Myanmars Christen auf heftigen Widerstand stoßen dürfte.
26. - Sonntag
Stadtrundfahrt mit einem britischen Myanmar-Wissenschaftler, der gestern zu einem kleinen Workshop über die Lage im Lande in Hamburg angekommen ist. Er ist in den USA geboren, hat ber jetzt einen britischen Pass. Zum Brexit fällt ihm ein, dass der von ihm gebuchte Flug mit Eurowings von London nach Hamburg ausgefallen ist. Und der teurere Flug mit British Airways hatte auch zwei Stunden Verspätung. Erste praktische Folgen der neuen Lage? Er sieht das Ganze eher gelassen und meint, die Königin sei mit dem Ergebnis sicher einverstanden, wenn sie nicht sogar indirekt dabei mitgeholfen habe. Sie soll laut einem Zeitungsbericht, der kurz vor der Wahl veröffentlicht wurde, gefragt haben: "Nennt mir drei gute Gründe, in der EU zu bleiben." Dieser etwas sibyllinische Satz wurde vom Palast nicht dementiert.
25. - Sonnabend
Fahrt nach Berlin zu einer Geburtstagsfeier. Die Zeitung zur Verkürzung der Zugfahrt ist voll mit Berichten über den britischen Ausstieg aus der EU und seine möglichen Folgen. Schottland will bleiben und hat auch so abgestimmt. Die Ministerpräsidenten des Landesteils kündigt eine weitere Initiative an, das Vereinigte Königreich zu verlassen. Auch andere Domo-Effekte werden erwogen: In Frankreich und Holland haben Ausstiegs-Gegner großen Zulauf. Weitere Referenden drohen. - Am Abend schlagen die Mannschaft von Wales, wo mehrheitlich für den Brexit abgestimmt wurde, das Team des europafreundlichen Nordirland. Dieser Lnadesteil will der Krone aber treu bleiben - sonst könnte eine Diskussion aufkommen, die Provinz mit dem katholischen Nordirland zu vereinigen. Das ginge aber gar nicht.
24. - Freitag
Meine gestrige Prognose in Sachen Brexit war falsch. Die Briten haben mit knapper Mehrheit für den Austritt gestimmt, genauer: die Engländer und Waliser, Schotten und Noriren wollten bleiben. Einige ihrer Politiker werben jetzt - erneut - für den Austritt aus dem Vereinigten Königreich, wo ihre Fußballspieler ja schon immer mit einigen "National"-Mannschaften vertreten sind. - Es gibt an diesem Morgen noch einen weiteren, kleineren Paukenschlag. Das österreivchische Verfassungsgericht untersuch die Wahl zum Bundespräsidenten, bei der der Kandidat der auch europakritischen FPÖ seinem Konkurrenten noch knapper unterlegen war als die EU Befürworten in Großbritannien gestern. Falsche Zahlen wurden noch nicht ermittelt, aber man hat sich nicht an die Wahlvorschriften gehalten. Das könnte ein Grund sein, die Wahl zu wiederholen.
23. - Donnerstag
Heute findet in Großbritannien das
Referendum über die In-or-Out Frage statt. Heute Abend wird es keinerlei Hochrechnungen geben. Ich gbe mal eine Prognose ab, bevor in einer Viertelstunde die Wahllokale schließen: Es wird einen
knappen Sieg der Remein-Fraktion geben, sagen wir 52,5 zu 47,5 %. Das wird aber das Problem nicht lösen. Ein englischer Wissenschaftler sagte heute, es sei schlicht vernünftig, drin zu bleiben.
Die "Leave-Fraktion" setze auf Emotionen und die seinen in der Politik hochgefährlich. Mag sein, ber wohin mit den Emotionen der 47,5% Briten (und der vielen anderen Europa-Gegner), wenn die
Vernunft morgen gewonnen hat? - Ach ja: Der vorausswichtliche Sieg der EU-Befürworter ist möglicherweise einem hochemotionalen Ereignis zu verdanken - der Ermordung der pro-europäischen
Abgeordenet vor einigen Tagen.
22. - Mittwoch
Vor 75 Jahren begann der Angriff des Deutschen Reiches auf die Sowjetunion. In Russland, dem Land, in dem danach die meisten Menschen umgekommen sind, wird daran erinnert. Präsident Putin tut da mit markigen Woirten und beglagt eine westliche Aggressivität an den Grenzen Russlands, wo die Nato stärkere militärische Präsenz zeigt, um Polen und die baltischen Staaten zu beruhigen. Putin kündigt erhöhte Ausgaben für die Streitkräfte an - und dasselbe tut Angela Merkel bei einem Besuch ihrer polnischen Kollegin. Ein neues Wettrüsten beginnt, und das, nachdem der deutsche Außenminister gerade vor "Säbelrasseln und Kriegsgeheul" gewarnt hatte, was ihm von Seiten der CDU den Vorwurf einbrachte, "Ungeheuirliches" gesagt zu haben.
21. - Dienstag
Eine Woche nach dem Massaker in Orlando haben sich die Parteien im Senat der USA nicht auf neue Waffengesetze einigen können. Die Demokraten hatten vorgeschlagen, dass Personen, die auf Flugverbotslisten stehen, keine Waffen kaufen dürfen. Das fanden die Republikaner zu radikal.Der Mehrheitsführer dieser Partei im Parlament wurde mit der Aussage zitiert, Anschläge könnten am besten verhindert werden, wenn man Terroristen im Ausland bekämpfe. Zur Erinnerung: Der Attentäter von Orlando wurde in New York geboren.
20. - Montag
Ein Blick naqch Südamerika: Die Lufthansa hat gerade zum vorerst letzten Mal Caracas, der Hauptstadt Venezuelas, angeflogen. Die Route lohnt nicht mehr. Kaum einer fliegt mehr in das bankrotte Land, zurück sind die Flugzeuge voll, aber wegen der hohen Inflation ist damit kein Geld zu verdienen. Zudem schuldet die Regierung der Fluglinie Geld. Es droht eine neue Fluchtbewegung aus dem Land k n die Nachbarstaaten. Diesmal werden es die Reichen sein, die gehen. Die Nachfolger des legendären Hugo Chavez klammern sich an eine Idee, die im Lande nicht mehr funktioniert
19. - Sonntag
Im Flugzeug lese ich die Nachricht vom Vortag, dass die russischen Leichtathleten vom Weltrverband dieser Sportart für die olympischen Spiele gesperrt worden sind, weil es den unausgeräumten Verdacht gibt, dass im russischen Verband systematisch gedopt wurde. Es ist anzunehmen, dass der Beschluss eine Fülle von Klagen auslösen wird. Eine russische Stabhochspringerin hat das schon angekündigt und den Beschluss eine Menschenrechtsverletzung genannt. Nun ja, im Vergleich zu dem, was die neuzeitliche "olympische Bewegung" sonst schon an Skandalen hervorgebracht hat - die Olympiade in Berlin 1936! - ist der Vorfall beinahe harmlos. Er wird aber sicher dazu beitragen, dass sich die Kluft zwischen Russland und dem Westen weiter vergößert.
18. - Sonnabend
Abschied von den USA mit einem Gespräch mit einem alten amerikanischen Bekannten. Es geht - einmal wieder - um Donald Trump. Der hat einge ganz vernünftige Ideen, sagt mein Gesprächspartnher, aber eins geht ganz und gar nicht: Sich so radikal gegen Mexikaner und Muslims abzugrenzen. Das ist die reinste Willkür - in den USA leben mit wenigen Ausnahmen janur Einwanderer und ihre Nachkommen. Wie viele andere Leute, mit denen ich gesprochen habe, ist er allerdings auch kein Freund von Hillary Climton. Die Wahl zwischen den beiden potenziellen Kandidaten ist für viele so etwas wie die zwischen Pest und Cholera.
17. - Freitag
Ich nehme an einer amerikanischen Hochzeit teil und treffe viele interessante Leute.
Wir sprechen über dies & das und ich werde oft gefragt, was ich von Donald Trump halte. Ich versuche, diplomatisch zu antworten, da ich nicht weiß, weloche Meinung der jeweilige
Gesprächspartner wohl hat. In den Gesprächen vermeide ich auch das Thema des Attantats im Club von Orlando, nicht so sehr weil ich unsicher bin, was die Leute hier von Homosexualität halten. Eine
Reihe der Mitfeiernden gehören zu dieser Gruppe. Kritisch könnte ein Gespräch über die Waffengesetze des Landes werden. Da sind die USA, wie in mancher anderer Hinsicht auch, offenbar gespalten.
Und über bedrohliche Spaltungen zu reden, gehört nicht auf eine Hochzeit.
16. - Donnerstag
Wir treffen Modico, einen Taxifahrer, der sich auf seiner Business Card als der "Mann aus Mali" vorstellt. Er entspricht - und/oder inszeniert sich selbst - dem Bild des "typischen" Schwarzafrikaners, fröhlich und direkt und unkompliziert. Er arbeitet sieben Tage in der Woche als Selbständiger, hat eine kleine Wohnung in der näcjsten Stadt, ein Haus in Bamako, der Hauptstadt Malis, und dort auich eine Tochter, der er regelmäßig Geld schickt. Wenn er mal im Lotto gewinnt, würde er sich ein Haus in der feinen Gegend kaufen, in der er hier Leute herumfährt, aber er setzt in erster Linie auf ehrliche Arbeit. Eine Bibel hat er auch, aber zur Kirche geht er nicht mehr. Der Pastor der afrikanischen Kirche in seinem amerikanischen Wohnort hat von im mal 300 Dollar geliehen und nicht wieder zurückgegeben. Seitdem ist Schluss mit demj Glauben an die Kirchen. Den emerikanischen Traum hat er dagegen gut internalisiert.
14. - Dienstag
Heute beginnt mein Kurztrip in die USA. Ich bin zu einer Hochzeit eingeladen. Die Braut hat eine deutsche Mutter und einen italienisch-stämmigen Vater. Der Bräutigam ist Nachkomme irischer Einwanderer. In den USA leben ja fast nur noch Migranten und ihre Nachkommen. Die Ureinwohner sind ja fast alle verschwunden. Im Blick auf die Diskussion um die Tötung der Armenier im Osmanischen Reich frage ich mich im Flugzeug, ob das, was den Indianern nach der Ankunft der europäischen Siedler widerfahren ist, nicht vielleicht auch als "Völkermord" bezeichnet werden könnte. Ein Blick ins Internet zeigt mir: Historiker behaupten das. Um 1700 gab es im Lande ca. 12 Millionen Indianer, 200 Jahr später nur noch knapp eine Viertelmillion. Es wäre ein schönen Stoff für einen Roman, die Geschichte eines Antrags von Indianern an den Bundestag zu stellen, eine Resolution zu verfassen, wie sie zum Ärger der türkischen Regierung neulich im Bundestag verabschiedet worden ist.
13. - Montag
In Orlando/Florida hat ein knapp 30jähriger Mann an die 50 Menschen getötet und ebensoviele verletzt. Er hatte eine Art Machinengewehr dabei. Das Attentat fand in einem Nachtclub statt, der vor allem von Schulen und Lesben besucht wird. Der Attentäter ist ein New geborener Sohn afghanischer Eltern und hat bei einem Gespräch mit der Polizeit zu Beginn seines Gemetzels gesagt, er fühle sich dem IS verbunden. Ich werde morgen in die USA reisen.
12. - Sonntag
Die elf türkischstämmigen Abgeordneten im
deutschen Bundestag stehen unter Polizeischutz. Nachdem sie mit ihrer Zustimmung zur Armenien-Resolution auch bekundet haben, dass die Türkei mit der massenhaften Tötung Angehöriger christlicher
Minderheiten einen Völkermord begangen hat, erhalten einige von ihnen Morddrohungen. Das traurige Beispiel zeigt, dass es nicht so leicht ist, Deutscher zu sein, wenn man Eltern (oder sogar
Großeltern?) hat, die nicht hier geboren wurden. Nicht nur, dass Deutsche einen "Deutschen mit Migrationshintergrund" möglicherweise schell ansehen, das tun eventuell auch die Menschen in den
Herkunftsländern der Familien. Das erinnert mich an das Problem der türkischen Gastarbeiter der ersten Generation, mit denen ich früher zu tun hatte. Sie wurden in ihrem Heimatland auf
türkisch Almancılar - "Deutschländer" genannt. Damit drückte sich aus, dass sie nun hier wie dort Fremde waren.
11. - Sonnabend
Die Fußballeuropameisterschaft hat begonnen. In Marseille prügeln sich vor dem Spiele zwischen England und Russland mitgereiste Hooligans beider Seiten. Franzosen haben dann auch mitgemischt. Ein englischer Fan schwebt in Lebensgefahr. Die Gewerkschaften nutzen die Gelegenheit, mit Streiks gegen die Maßnahmen der Regierung zu protestieren. Und natürlich: Das große einheitsstiftende Fußballfest erfordert einen riesigen Aufwand an Sicherheitskräften, um Terrorakte zu verhindern. Die sind aber machtlos gegen Leute, die den Sport zum Anlass für ein Prügelfest nehmen. Da könnte es so weit kommen, dass Spiele von England und Russland vor leeren Tribünen stattfinden so wie es hin und wieder in Deutschland und anderswo passiert, um die Hooligans zu ernüchtern. Der nächste Schritt sind dann die ganz und gar friedlichen virtuellen Maisterschaften, die nur noch im Fernsehen zu sehen sind und auf Fanmeilen, in denen die jeweiligen Fangruppen unter sich sind. Dioe Schöne Neue Welt lässt grüßen.
6.-10. - Montag bis Freitag
Ich tauche einige Tage in deie Vergangenhet ab und stöbere im Politischen Archiv des Auzswärtigen Amtes nach Informationen über ein Entwicklunsgprojekt in Myanmar, das auf die 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts zurückgeht, von1979 bis 1985 als Modellprojekt der Vermittlung des deutschen Berufsschulwesens von beiden Seiten mit viel personeller und finanzieller Untestützung beider Seiten durchgeführt wurde. Nach den Unruhen 1988 wurde die Zusammenarbeit zwischen beiden Länder eingestallt. Nach Wiederaufnahme der Beziehungen 2012 hatte die birmanische Seite den Wunsch, das Projekt, das ein Vierteljahrhundert weitergeführt worden war, wieder unterstützt werden möge. Dem Wunsch wurde entsprochen. Dies ist eine schöne Geschichte, in der die Zusammenarbeit zwischen höchst unterschiedlichen Akteuren - birmanische Militärs auf der einen, westdeutsche Demokraten auf der anderen Seite - eine Erfolgsgeschichte produzierte, die allerdings sehr fragil war, wie ihr Abbruch 1988 zeigte. Die vielen Akten zum Thema zeigen, dass ein wesentliches Geheimnis des Erfolges das Ausblenden der Unterschiede war.
5. - Sonntag
Anne Will hat den AfD-Politiker Gaulandt eingeladen, der vor einigen Tagen behauptet haben soll, Fußballnationalspieler Jerome Boateng sei vielen Deutschen als Nachbar nicht willkommen. Der Journalist, der ihn interviewt hat, ist auch da. Es stellt sich heraus, dass der Name "Boateng" vom Journalisten ins Spiel gebracht wurde, was der Politiker clever dazu nutzt, sich als jemand darzustellen, der reingelegt wurde. Leider verläuft dann die Sendung so ähnlich, wie das verunglückte Interview wohl verlaufen ist: Es wird versucht, klare Grenzen zu ziehen und Recht zu haben in der Frage, wie rassistisch Deutschland denn nun gegenwärtig ist. Das Resultat: Einige Äußerungen der Anti-Rassismus Advokaten lassen mich vermuten, dass ich selbst ein Rassist bin. Es ist der Stil der Diskussion, der Gegensätze hervorhebt, die nicht vermittelbat scheinen. Wenn wir in Deutschland momentan ein Problem haben, dann, so scheint mir, ist es eins der Gesprächskultur. Die Frage, was die Teilnehmer der Runde denn im Blick auf das Thema gemeinsam haben, hatte die Moderatorin nicht im Zettelkasten. Da möchte man doch gerne fragen, on Herr Gaulandt und Justizminister Maas nach der Sendung bei einem Glas Bier, Wein oder Selter noch zusammengesessen haben. Ab er das ist eine verfängliche Vorstellung: Wenn Nein, bestätigt sich, dass unsere demokratische Kultur nicht das ist, was sie vorgibt zu sein. Wenn ja, hat man die Zuschauer getäuscht.
4. - Sonnabend
Muhammad Ali ist gestorben und alle sind traurig. Das ist bemerkenswert bei einem Mann, der sein Leben lang andere verprügelt (und oft auch verprügelt worden ist) und mit seinen Aktionen - Muslim werden, den Kriegsdienst verweigern - eine ganze Nation provoziert hat. Er muss etwas von einem Heiligen in sich gehabt haben.
3. - Freitag
An den Stränden Libyens sind Leichen angespült worden, tote Flüchtlinge. Die Bilder sind Anlass, dass die ARD der Fortsetzung eines tieftraurigen Kapitels jüngerer Geschichte eine 10minüte Sondersendung widmet. Sie ist - makaber - genau so katastrophal wie das, wovon berichtet wird. Eine hilflose Moderatorin spricht mit hilflosen Beobachtern, die allesamt nicht zu erkennen geben, dass sie sich hilflos fühlen. Einem armen Abgeordneten des Europaparlaments, der in Sachen Flüchtlingsfragen häufig im Fernsehen auftaucht, meint, man müsse mit der libyischen Regierung einen Deal à la Türkei machen. Die Moderatorin fragt nicht nach, wie das gehen soll, da diese Regierung nur auf den Papieren ausländischer Politiker existiert.
2. - Donnerstag
Die "Völkermord"-Resolution wird im Bundestag verabschiedet. Es gibt eine Gegenstaimme und eine Enthaltung. Auf der Tribüne sagen Armenier "Danke" und die Türkei ruft ihren Botschafter zurück nach Ankara. Die Redner betonen, die REsolution dine der Vesöhung zwischen den beiden Volksgruppen. Absurdistan? Da wollte die Kanzlerin nicht dabei sein. Sie fehlte wie ihr Vizekanzler und der Außenminister.
1. - Mittwoch
Heute ist der "Internationale Tag des Kindes", der allerdings einen Bruder hat, der am 20. September gefeiert wird. Die Doppelung ist ein Relikt der Ost-West-Spaltung. Der 1. Juni wurde im Osten begangen, der 20. September im Westen. Beide deutsche Staaten hatten eine Resolution der UNO unterschiedlich umgesetzt. In Berlin gibt es daher nun zwei große Kinderfeste im Jahr - aber die Anzahl der bedürftigen Kinder steigt weiter.
Mai 2016
31. - Dienstag
Gespräch mit einer älteren Frau, die in einem Dorf in Hessen in einem landwirtschaftlichen Betrieb arb eitet, die Bio-Milch herstellt. Für sie ist Montsano der große Feind, die Firma, die - wie viele andere - Glyphosan herstellt und auf der Einkaufsliste von BAYER steht. Da wird ein Graben sichtbar, der nicht überbrückbar ist, und der zieht sich auch durchs Dorf. Einige Bauern benutzen die technologischen Miuttel, die anderen lehnen sie ab. Noch eine Art Glaubenskrieg.
30. - Montag
Die Politik tritt heute in die zweite Reihe,. In Südeutschland hat es heftige Überschwemmungen gegeben, nachdem der Himmel seine Schleusen geöffnet hat. Es gab Sachschäden und einige Tote. Die Metereologen erklären, wie es dazu kam: Kaltfront trifft auf Warmluft. Da kann man nichts machen.
29. - Sonntag
Am Abend probt die deutsche Fußballnationalmannschaft in Augsburg für die Europameisterschaft. Ein Fan hält ein Schild hoch, auf dem es heißt: "Jérome, zieh neben uns ein." Das zielt auf die Äußerung eines AfD-Spitzenpolitikers, dass die Deutsche den Fußballspieler Jerome Boateng schätzen, ihn aber nicht zum Nachbarn haben wollten. (Der Spieler ist in Berlin als Sohn einer deutsche Mutter und eines ghanaischen Vaters geboren.) Der Vorfall landet in der Spitze der Nachrichten. Die allgemeine Empörung ist groß, der Beschuldigte meint, dass sei nicht bös gemeint gewesen, die AfD Vorsitzende entschultigt sich für die Partei bei dem Fußballer. Einen Weltmeister zu beleidigen - dass könnte Stimmen kosten.
28. - Sonnabend
Am 2. Juni soll im Bundestag eine Resolution verabschiedet werden, in der der Tod von über einer Million Armeniern "und anderer christlicher Gruppen" vor 101 Jahren "Völkermord" genannt wird. Heute protestieren türkische Verbände dagegen und auch die türkischstämmige Integrationsbeauftragte der Regierung ist eher dagegen, wird aber dafür stimmen. Die Diskussion um die Frage, welchen Sinn es macht, die unbestritten schrecklichen Vorgänge rückblickend offiziell als Genozid zu bezeichnen, wird von dem aktuellen gespannten Verhältnis zur türkischen Führung überlagert. Für Grünen-Chef Özdemir und viele andere scheint die Abstimmung eher ein Protest gegen Erdogan zu sein als eine Aktion, die der Versöhnung zwischen Armeniern und Türken dienen soll. Es wäre wohl klug, hier noch einmal zu vertagen und nachzudenken.
27. - Freitag
Barak Obama besuchtHiroshima und hält dort
eine Rede, die mit dem Worten beginnt: "Vor 71 Jahren fiel an einem heiteren wolkenlosen Tag der Tod vom Himmel und die Welt änderte sich." Danach folgt einer eher schwülstige Rede über den
Traum einer atomwaffenlosen und friedlichen Welt, in dem er einer Antwort auf die Frage ausweicht, wie er zur Entscheidung seines Vorgängers steht, die Bombe und die Tage später auf Nagasaki
abzuwerfen. Weder rechtfertigt er sie noch äußert er sein Bedauern. Und die Folgerung: "Wir können eine Zukunft wählen, in der Hiroshima und Nagasaki nicht als die Morgendämmerung des Atomkrieges
bekann sein werden, sondern als der Beginn unseres eigenen moralischen Erwachens." Im Blick auf die aktuelle Weltlage und ihre hoch unmoralischen Begebenheiten ist eine Vertröstung, mit der das
Elend von damals wie heute verharmlost wird.
26. - Donnerstag
Die Führer der G 7-Saaten - G steht für "Gruppe", nicht für "Groß" - treffen sich in Japan, um über die Weltlage zu beraten. Wikipedia teilt mit, dass gut 10 % der Weltbevölkerung in diesen Ländenr leben, aber 44 % des weltweiten Buruttonationaleinkommens in ihnen erwirschaft wird. Die Führer vereinbaren, die Wirtschaft anzukurbeln, weil das die beste Hilfe zur Meisterung der weltweiten Krisen sei. Außerdem wird bestätigt, dass Russland, nach der Krim-Krise aus dem exklusiven Club verbannt, auch weiter draußen bleiben muss. Die Gruppe bleibt ein exklusiver Club, in dem man Schmuddelkinder nicht dabei haben will.
25. - Mittwoch
Heute - ein Tag vor Fronleichnam - beginnt in Leipzig ein katholischer Kirchentag, auf dem - wie auf den zweijährigwen Treffen des gro0en evangelischen Bruders - auch aktuelle gesellschaftspolitische Themen verhandelt werden sollen. Wirbel macht der Beschluss der Leitung, dass AfD-Politiker nicht eingeladen worden sind, auf einem der Posien PLazu zu nehmen udn ihre Stellungsnahmen zur Diskussion zu stellen. Dabei ist die Partei ja der Meinung, das christliche Abendland zu retten. Streitgespräche darüber, wie die abendländischen Tradirtionen am besten ebwahr werden können, hätten die Kirchentagssuppe sicher ordentlich aufgepfeffert. Das damit verbundene Risiko wollte man nicht eingehen und lässt es bei den freundlichen Allgemeinplätzen bewenden, die der Papst per Video-Botschaft in deutscher Sprache ins wenn nicht gott- dann doch arg kirchenferne Leispzig übermittelt.
24. - Dienstag
Das Flüchlingslager (oder besser: Die Flüchtlingsübergangslagerstätte) in Idumeni an der türkisch-mazedonsichen Grenze wird geräumt. Die dort campierenden werden in andere Lager verlegt. Alles läuft reibungslos, so die Berichte. Aus Ankara kommt die Nachricht, dass Präsident Erdogan die Absprachen zur Rücknahme von Flüchtlingen aus Griechenland platzen wird, wenn die Vispflicht für die Einreise nach Europa nicht aufgehoben wird. Kurz; Die Schließung der "Balkan-Route" war die entscheidende "Lösung" zum Umgang mit dem Strom der Migranten aus Vorderasien, keine Grenze ist wirklich überwunden worden, weder die zwischen Staaten noch zwischen Konzepten über den Umgang mit unterschiedlichen Vorstellungen vom Umgang mit politischen Rivalen.
23. - Montag
Welch eine schöne Idee - ein Gespräch zwischen Vertretern muslimischer Verbände und der Führung der AfD zum Zweck der gegenseitigen Verständigung. Es fand heute in einem Berliner Hotel statt und wurde nach einer Stunde beendet. Die Vertreter der Partei verließen den Raum. Danach kamen die üblichen Schuldzuweiseungen. Die AfD-Vertreter hielten den Vorwurf, in die Nähe der NSDAP gerückt zu werden, für nicht hinnehmbar, die Muslime fanden die Weigerung der Partei, ihr Programm zu ändern, nicht akzeptabel. - Dazu passt, dass das Gespräch zwischen Angela Merkel und Recep Erdogan in Istanbul auch keine Annäherung der Standpunkte brachte.
22. - Sonntag
Die Auszählung der Stimmen zur Wahl des neuen Bundespräsidenten in Österreich geht am Abend in die Verlängerung. Beide Kandidaten - der Grüne und der Freiheitliche - liegen Kopf an Kopf. Noch hat der Mann die Nase vorn, der die österreichischen Werte durch die Zuwanderer bedroht sieht. Aber das könnter sich ändern, wenn morgen noch die Briefwahlstimmen ausgezählt werden (wer Geld zum Verreisen hat, ist liberaler?). In jedem Fall ist das Land gespalten.
21. - Sonnabend
Aufregung über die türkische Handhabung des Flüchtlingsdeals. Als Gegenleistung für die Rcüknahme von Flüchtlingen aus Griechenland hat das Land bisher nur bedonders notleidende und schlecht qualifizierte Menschen nach Europa geschickt. Das waren zwar nur etwas über 100, die nach dem Abkommen nach Deutschland kamen, aber hier hatte man sich eher das Gegenteil gewünscht: mehr Akademiler und Facharbeiter.
20. - Freitag
Das türkische Parlament hat beschlossen, dass ein Viertel seiner Abgeordneten die Immunität entzogen wird. Betroffen ist vor allem die pro-kurdische HDP, der von Staatspräsident Erdogan vorgeworfen wird, der parelamentarische Arm der allgemein als Terrororganisation und verbotenen eingestuften PKK zu sein. Westliche Beobachter sind besorgt bis empört, die Bundeskanzlerin wird die Angelegenheit bei ihrer bevorstehenden Reise in Türkei zur Sprache bringen, sagt ihr Sprecher. Der Flüchtlingsdeal mit der Türkei - Rücknahmegarantie gegen Abschaffung der Vispflicht - steht mehr denn je auf der Kippe. Mehr noch: Die Türkei entfernt sich weiter von Europa, und das unter Führung einer islamischen Partei.
19. - Donnerstag
Heute ist wieder ein Flugzeug vom Himmel gefallen, oder - wie es in der Sprache der Nachrichten heißt - plötzzlich von den Radarschrimen verschwunden. Es war auf dem Weg von Paris nach Kairo. Ein Attentat ist nicht auszuschließen. Im Zusammenhang mit der bevorstehenden Fußball-Europameisterschaft und auf dem Hintergrund der Attentate vom letzten November eine besonders alarmierende Möglichkeit und verstärkt die Wahrscheinlichkeit, dass das Sportfest eine Sicherheistorgie werden wird.
18. - Mittwoch
Es ist so ruhig in der Welt, dass es die
Meldung von der im Jahr 2018 anstehenden Beförderung eines deutschen Geophysikers zum Kommandanten der ISS Raumstation an die erste Stelle der Tagesschau-Nachrichten rückt. Er war 2014 schon
einmal da oben und hatte schöne Bilder und auch Reportagen zur Erde gesendet. Insofern ist er eine Art Himmelsromantiker, aber gleichzeitig auch ein Visionär. Der5 Mond könnte mal zu einer großen
Raumstation werden. Ein "Moon Village" ist in Planung. Das Raumschiff ist immerhin schon so eine Zufluchtsstätte, wo sich Menschen aus unterschiedlichen Ländern prima vertragen. Leider ist das
Erlebnis dieser Art des ungeteilten Himmels wohl nur etwas für einige Auserwählte.
17. - Dienstag
Das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat ist ein Spaltpilz. Die EU muss entscheiden, ob es weiter zur Benutzung freigegeben wird. Die WHO hat zwei Gutachten veröffentlich, denen das Wort "wahrscheinlich" gemeinsam ist. Es könnte sein, dass das Mittel Krebs verursacht. Es könnte auch sein, dasss das nicht, dass dem nicht so ist. Die Bundesregierung ist in der Wahl der Wahrscheinlicheit gespalten. Die CDU befürtwortet ein "wahrscheinlich nicht", die SPD betont das "wahrscheinlich doch". Bei der Abstimmung in Brüssel wird man sich nach Lage der Dinge enthalten. Das zuminest ist sicher.
16. - Pfingstmontag
In Bonn treffen sich die Koimapolitiker
aus aller Welt, um die Einzelheiten dessen auszuarbeiten, was vor einiger Zeit in Paris beschlossen wurde: Die Drosselung der Erderwärmung. Wenn alles klappt, werden die Überlebenschancen
kommender Generationen nachhaltig verbessert. Die Chancen stehen nicht schlecht, hört man. - Zu gleicher Zeit und wohl völlig zufällig in der Nachbarschaft von Pfingsten wir in Wien über died
Zukunft Libyens beraten. Ein Vorschlag läuft darauf hinaus, die höchst fragile Einheitsregierung für das Land mit Waffen zu beliefern, um die Stellung dieser vom Westen unterstützten Regierung
gegen die zahlreichen Rebellengruppen zu stärken. - Nimmt man beide Konferenzen zusammen, so wird in Bonn gerade eine Grundlage dafür geschaffen, dass sich auch in der weiteren Zukunft Menschen
totschießen können.
15. - Pfingstsonntag
Am Morgen gibt es eine schöne Sendung zum heutigen Fest, in der die Geschichte vom Turmbau zu Babel vom Kopf auf die Füße gestellt wird. Die babylonische Sprachverwirrung war keine Strafe für den allgemeinmenschlichen Größenwahn, sondern eine Attacke gegen die Gleichmacherei der Tyrannen damals wie heute. Pfingsten ist dann das Fest, das die Einheit hinter der Vielfalt feiert, das Fest der noverbalen Kommunikation gewissermaßen, durch die Grenzen überwunden werden.
14. - Sonnabend
Das Abendprogramm der ARD wird bis weit nach Mitternacht von einem musikalischen Spektakel globalen Ausmasses ausgefüllt, dem European Song Context. Zum ersten Mal darf auch Australien mitmachen und die Sendung wird auch in Chian und den USA ausgestrahlt. Die erweiterte Europameisterschaft um den populärsten Song die Vertreibung der muslimischen Krim-Tataren im 2. Weltkrieg. Das lässt sich natürlich auch als ein Kommentar zur Annexion der Krim im Jahr 2014 sehen. Immerhin: Der russische Song kommt - nach dem aus Australien - auf Platz drei. Deutschland landet, wie im Vorjahr auf dem letzten Platz. Das kann man auch für einen Ehrenplatz halten.
13. - Freitag
Am Staatstheater Wiesbaden wird in einer Woche ein Theaterstück Premiere haben, das als Vorlage den 1988 veröffentlichten Romans "Die Satanischen Verse" von Salman Rushdie hat. Die Polizeit hat besondere Sichrehitsmaßnahmen ergriffen. Die Personaldaten aller Besucher werden notiert. Vor dem Besuch der Vorstellung müssen Personalausweise vorgezeigt werden. Außer werden Dedektoren eingesetzt. Hintergrund der Sicherheitsmaßnahmen ist die fatwah, die Ayatollah Chomeine 1989 gegen den Autor verhängte, womit die Tötung des Autors für gottgefällig erklärt wurde. Die Besucher werden das Gefühl haben, Zeuge einer besonders prickelnden Veranstaltung zu sein.
12. - Donnerstag
In Brasilia wird die Präsidenin vom Senat
für sechs Monte beurlaubt. In der Zwischenzeit wird geprüft, ob die Gründe ausreichen, sie ganz des Amtes zu entheben. Dami wird ihr Stellevertreter und politischer Gegner die Olympischen Spiele
eröffnen. Mit der skandalträchtigen Ablösung ist ein weiterer Traum geplatzt. Frau Roussef gilt als links und eine Advokatin der Armen. Wer immer gedacht haben mag, das Land würde mit Hilfe
globaler Unterstützung - vor zwei Jahren wurde Deutschland in Brasilien Fußball-Weltmeister - einen Schritt hin zu einer gerechteren Gesellschaft machen, hat geträumt, war naiv - oder
zynisch.
11. - Mittwoch
Die Nachrichten berichten - einmal mehr unter "ferner liefen" - von einer erneuten Anschlagsserie in Bagdad, un einmal wieder einer der schwersten in jüngster Zeit. Drei Attentate, mindestens 86 Tote, alle in von Schiiten bewohnten Stadtvierteln und wohl vom sunnitischen IS gesteuert. Was es nach wie vor in den Medien überhaupt nicht gibt, ist eine Erörterung der Frage, wie die tödlichen islamischen Schismen gemildert werden können.
10. - Dienstag
Der ehemalige bayrische Ministerpräsident Edmund Stoiber betont in einem Interview die Eigenständigkeit der CSU. und die Differenzen mit der CDU in der Flüchtlingsfrage, der Stellung zum Islam und zur inneren Sicherheit. Einen eigenständigen Wahlkampf schließt auch er nicht aus. Das ist eine weitere Episode im seit Jahrzehnten üblichen bayrischen Theaterdonner und ein schwaches Echo der Ankündigung von Franz-Josef Strauß, die CSU zu einer Bundespartei zu machen. Schön wär's ja, aber es wird nicht passieren.
9. - Montag
Lange nichts von Pegida gehört. Es gibt sie aber immer noch, zumindest uf einem Life-Ticker im Internet. Lutz Bachmann, gerade wegen Volksverhetzung verurteilt, eröffnet deie Verannstaltung () mit dem Hinweis, dass er den SPD-Vize Ralf Stegner wegen des gleichen Delikts verklagt habe. Er begrüßt den Rücktritt des österreichischen Ministerpräsidenten und wünscht sich, dass bald ein "alter Freund" aus der Partei des Nachbarlandes, deren Kandidat die erste Runde der Wahlen zum Amt des Bundespräsidenten gewonnen hat, ins Amt des Regierungschefs gewählt wird. - Auf den Philippinen hat ein andrer Populist die Wahl zum Präsidenten gewonnen, eine Art asiatischen Donald Trump. Rodrigo Duterte, 71, will mit der Kriminalität im Lande aufräumen und hat angedündigt, das Parlament aufzulösen, wenn es sich ihm entgegenstallen sollte. Dictator ante portas waren besorgte Verlierer.
8. Sonntag
Zum Muttertag bringt NDR Kultur eine
kleine Sendung zum islamschen Mutter- und Frauenbild. Titel: "Der große Unterschied". Unter Berufung auf die 2015 verstorbene marokkanische Soziologin Fatima Mernissi sucht die Autorin zu
belegen, dass "der" Islam durchaus nicht zu Europa gehört. Am Ende des Beitrags findet sich der Satz "Bleibt nur - trotz allem - an die Suche nach Verständigung zu glauben." Das heißt zuerst
einmal: Den geteilten Geschlechter-Himmel als Realität zu akzeptieren. - Am Abend bei Anne Will: Babylonische Sprachverwirrung der Eingeladenen zum "Integrationsgesetz". Die drei nach
Parteienproporz - links-Mitte-rechts - und zwei nach vermuteter Sachkenntnis Eingeladenen verheddern sich und die Moderatorin total. Sie blickt nicht mehr durch, meint sie. Eine solch ehrliche
Bestandaufnahme des Problems sollte man ihr nicht übelnehmen.
7. - Sonnabend
In Berlin sind heute 1.800 Demonstranten mit der Forderung "Merkel-muss-weg" durch das Regierungsviertel gezogen - shr viel weniger als vermutet. Ungefähr ebbenso viele Polizisten sogten dafür, dass es keine Zusammenstöße mit mindestens viermal so zahlreichen Gruppen von gegendemonstranten kam. - Sehr viel gefährlicher als die Demo in Berlin ist die Ankündigung der CSU, 2017 mit einem eigenen Programm in den Bundestagswahlkampf zu ziehen - mit Horst Seehofer als Spitzen- und damit auch möglichen Kanzlerkandidaten.
6. - Freitag
Dem Papst wird in Rom ein Preis verliehen, der Verdienste um Europa würdigt. In seiner Rede ruft er die versammelten Politiker - unter ihnen auch Angela Merkel - dazu auf, sich auf die Ideale des Kontinents zurückzubesinnen, Humanismus, Menschenrechte, Demokratie, Freiheit, also auch auf die alten Schlachtrösser, mit denen das europäische Abendland in die Welt gezogen ist, den Rest der Welt zu erobern. Schließlich variiert er den berühmten Satz von Martin Luther King "Ich habe einen Traum" und wendet ihn auf das heutige Schicksal von Migranten an. Das kann als eine Ohrfeige zur das flüchtlingsunfreundlich katholische Osteuropa verstanden werden. Es ist dies einmal wieder eine Predigt für schon Belehrte, die eher dazu beiträgt, die schon bestehenden Spaltungen zu vertiefen.
5. - Donnerstag
Zum heutigen Himmelfahrtstag und passend zum Motto dieser Eintragungen höre ich am Morgen eine nette Sendung im Radio. Lea Singer hat ein Buch mit dem Titel "Anatomie der Wolken" geschrieben und berichtet über ihre Einsichten. Wolken verbinden die Erde mit dem Himmel und können damit helfen, die geteilten Himmel miteinander zu versöhnen. Die Wolkenbilder führen uns die Vergänglichkeit alles irdischen Lebens vor Augen und damit die Grenzen der himmlischen Klarheit, die wir gerne möchten. Auch der wolkenverhangene Himmel ist auch noch schön - und, so fällt mir ein, der gnadenlos blaue Himmel, von dem unentwegt die Sonne strahlt so tödlich wie alle Ansichten und Werte, die absolute Geltung beanspruchen.
4. - Mittwoch
Die Abschaffung der Visapflicht für Türken, Bestandteil des Abkommens über die Rückführung von Flüchtlingen aus diesem Land, wird von der Europäischen Union befürwortet, aber von der Mehrhiet der deutschen Bevölkerung abgelehnt. Politiker müssen sich also mit einer Haltung ihrer Wähler herumschlagen, die auf die Divise herausläuft "Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass."
3. - Dienstag
Böhmermann ist wieder da und schlägt zu
und scheint darauf hinzuarbeiten, nicht mehr als "Satiriker" bezeichnet zu werden. Er kritisiert Angela Merkel: "Die Bundeskanzlerin darf nicht wackeln, wenn es um die Meinungsfreiheit geht. Doch
stattdessen hat sie mich filetiert, einem nervenkranken Despoten zum Tee serviert und einen deutschen Ai Weiwei aus mir gemacht". Er sieht sich also in China und vergleicht sich mit einem Mann,
der wohl mehr Talent hat, sich selbst auszudrücken, und dafür auch schon viel hat einstecken müssen.
2. - Montag
Der Präsident des Bundesnachrichtendienstes sieht Deutschland im Fadenkreuz des IS. Das Feld für Attentate bei uns sei bestellt, meint er. Als Mittel dagegen hilft eine bessere Vernetzung der Nachrichtendienste. Das jüngste Urteil des Bundesgerichtshofs zur Beschränkung der Überwachungstätigkeit nennt er "schädlich". Der IS werde im übrigen nicht ernst genug genommen. Hier handle es sich nicht nur um eine "Terrormiliz", sondern um einen Staat, der einen Krieg auch gegen Deutschland plane. Das Problem dieser Sichtweise: Wenn sie richt ist, lässt sich die Bedrohung mit den Mitteln eines Bundesamtes nicht abwenden.
1. - Sonntag
Greenpeace hat Protokolle der Verhandlungen über das Freihandelabkommen TTIP veröffentlicht. Daraus geht - angeblich - hervor, wie weit die Positionen der Europäer und der USA auseinanderliegen. Damit ist meiner Einschätzung nach klar, dass das Abkommen in absehbarer Zeit nicht verabschiedet werden wird. Es sind einmal wieder unterschiedliche Werte, die dafür verantwortlich sein werden. Greenpeace sorgt sich um genmanipulierte Lebensmittel, die Befürworter um witrtschaftliches Wachstum. Da sicn Kompromisse kaum möglich, schon weil die Kontrahenten ja gar nicht miteinander verhandeln.
APRIL 2016
30. - Sonnabend
Die AfD beginnt mit ihrem Parteitag. Im
Mittelpunkt steht - wie zu erwarten - "der" Islam. "Er" gehört nicht zu Deutschland, wird im Unterschied zum früheren Bundespräsidenten Wulff und der jetzigen Kanzlerin wohl ins
Parteiprogramm geschrieben. Friedliche Muslime gehören schon hierher, wird auch festgestellt. Warum deshalb Minarette, Muezzinrufe und die Vollverschleierung von Frauen - ich habe in Deutschland
noch nie eine entdeckt - verboten werden sollen, ist nicht ganz logisch. Minarette wie Muezzine rufen ja nicht zum Heiligen Krieg auf. Ein Passus im
Programmentwurf, nach dem Bemühungen um Reformen des Islams unterstützt werden, wurde auf Antrag des Islamwissenschaftlers Hans-Thomas Tillschneider gestrichen. Er hatte argumentiert, es sei
«lächerlich», dem Islam Aufklärung «einimpfen» zu wollen. Hier wird es, scheint mir, spannend, aber eben auch akademisch. Wie steht es mit der "Aufklärung" im Islam? Die Frage verdient nicht nur
wegen der Situation in Deutschland Beachtung. Am Abend sieht man in der Tagesschau, wie Anhänger eines schiitischen Predigers in Bagdad Teile der Mauer niederreißen, die den
"Hochsicherheitstrakt" umgibt, in dem die Regioerung des Landes sich aufhält, und das Parlament stürmt. De Protest gilt einem schiitischen Ministerpräsidenten. Solche Bilder stärken eine Partei
wie die AfD. Man könnte ihr zugute halten, dass sie die Frage nach dem Verhältnis von Religion und Politik im Islam auf die öffentliche Tagesordnung gesetzt ghat - aber leider unter völlig
falschen Vorzeichen.
29. - Freitag
Krieg auf. Ein Passus im Programmentwurf, nach dem Bemühungen um Reformen des Islams unterstützt werden, wurde auf Antrag des Islamwissenschaftlers Hans-Thomas Tillschneider gestrichen. Er hatte argumentiert, es sei «lächerlich», dem Islam Aufklärung «einimpfen» zu wollen.
29. - Freitag
In Yangon sind Demonstranten, unter ihnen einige Mönche, heute vor die amerikanische Botschaft Botschaft gezogen und haben gegen eine Verlautbarung der Vertretung protestiert, in der der Name "Rohingya" benutzt wurde, um die Muslime zu bezeichnen, die im Norden des Bundesstaates Rakhine leben. Dieser Name sei ein Versuch, illegale Einwanderer, die von der Mehrheit der buiddhistischen Bevölkerung "Bengalis" genannt werden, zu legalisieren und damit sich damit in die inneren Angelegenheiten des Landes einzumischen. Wenn die US-Regierung hier nicht einlenke, würde die nächste Demonstration sehr viel größer ausfallen, warnte ein angesehener Abt. - Sprache trennt - und die babylonische Sprachver(w)irrungen dauern unvermindert an - und werden durch gut gemeinte Versuche, sie zu überwinden, eher noch verstärkt. Anlass für die inkriminierte Verlautbarung der Botschaft war der Tod von etwa 20 Bootsflüchtlingen, in der begrüßt wurde, dass sich die Regierung um eine Entschärfung der Konflikte in dem westlichsten Staat Myanmars bemüht.
28. - Donnerstag
In Libyen sind zwischen 12 und 16 ägyptische Migranten von Einheimischen getötet worden. Vorher hatten die Flüchtline drei "Schlepper" nach einem Streit um die Entlohung getötet. Angehörige der Opfer haben das Gefängnis überfallen und die dort Inhaftierten gelyncht, wird berichtet. Der deutsche UN-Beauftragte für das Land, der sein Hauptquartier in Tunesien hat, veurteilt die Tat und setzt weiter darauf, dass das nach dem von der NATO massiv unterstützten Sturz von Gaddafi vor fünf Jahren im Chaos versunkene Land wieder von einer Regierung geführt wird, die von allen Gruppen respektiert wird. Das klingt nach einer immerhin zienlich gut bezahlten Träumerei.
27. - Mittwoch
Gespräch mit einem befreundeten Journalisten einer Auslands-Redaktion. Es ist überall bemerkenswert ruhig, keine Überstunden mehr, weder in der Nahost- noch der Osteuropa-Redaktion, von Ostasien ganz zu schweigen. Die großen Aufreger fehlen, auch wenn keines der jüngsten Schlagzeilenerregerprobleme gelöst ist. Was tun mit der relativen Ruhe an der Oberfläche? Selber ausruhen, Überstunden abbummeln, oder sich an Analysen der Spaltungen unter der Oberfläche journalistischer Tätigkeit machen?
26. - Dienstag
Gespräch mit einem Entwicklungshelfer in Köln, der lange Jahre in verschiedenen Ländern Afrikas und Asiens gearbeitet hat. Ich möchte die Geschichte eines Projektes in Myanmar schreiben, bei dem deutsche Hilfe offenbar geholfen hat. Die Frage ist: Was waren die Gründe für den Erfolg? Vorläufiges Fazit: Der Zufall, dass da sehr viel Geld und Leidenschaft investiert worden ist - und dass die Chemie zwischen den Beteiliogten auf beiden Seiten gestimmt hat. Ich werde also versuchen zu schauen, ob sich Moleküle dieser Chemie identifizieren lassen und ob sie sich im Blick auf ähnliche Projekte neu generieren lassen.
25. - Montag
Auf der Fahrt nach Köln lese ich in einem Band mit Artikeln der Süddeutschen Zeitung einen Bericht über die Erfahrungen in der Flüchlingsarbeit. Die Journalistin entwirft darin ein angenehm differenziertes Bild von Lust und Frust bei ihrer Betreuung zweier Familien, die aus dem Irak geflohen sind. Ihr Fazit ist zwiespältig. Die Arbeit ist lohnend und sie wird auf jeden Fall weitermachen. Aber der "Kern" dessrn, was ihre neuen Bekannten als Personen ausmacht, ist hr bis heute verschlossen geblieben. In meiner Interpretation heißt das: Interkulturelles Verstehen hat seine Grenzen, die Eine Welt ist kulturell gespalten und wird es bleiben. Aber es lohnt sich, sie mit den Kräften, die einem zur Verfügung stehen Kräfte zu nutzen, diese zerissene Welt zusammen zu halten.
24. - Sonntag
Barak Obama trifft in Hannover ein, um mit der Kanzlerin zusammen die Messe zu eröffnen. Gestern haben Zehntausende (35.000 sagt die Polizei, 90.000 sagen die Veranstalter) gegen das Freihandelsabkommen TTIP protestiert, das beide Politiker unterstützen. Ich überlege, wie ich abstimmen müsste, wenn eine Zustrimmung der Bundesrepublik durch eine Voksabstimmung entschieden würde. Ich würde wohl eher dagegen stimmen, aber ohne genau zu wissen, ob das sachlich richtig ist. Es ist das Misstrauen gegen die globale Politik und ihre Repräsentanten, die die Menschen auf die Straße bringt.
23. - Sonnabend
Beim Googeln von Nachrichten zum Besuch der Bundeskanzlerin und hochrangiger EU-Vertreter in der Türkei steht der Kommentar "Merkelt mogelt weiter" ganz oben in der Liste der Meldungen. Eine "Vereinigung zur Erhaltung von Rechtsstaatlichkeit und bürgerlichen Freiheiten" sagt NEIN zur "merkelschen Willkommenskultur". Nach Aufhebung der Visapflicht könnten 74 Millionen Türken unser Land überschwemmen. Ich bin aufgerufen, auch NEIN zu sagen und wäre dann der 3462ste.
22. - Freitag
Angela Merkel teiltkurz vor einer Reise in die Türkei mit, dass sie sich über sich selbst geärgert habe. Es sei ein Fehler gewesen, das - bewusst verletztende - Böhmermann-Gedicht "bewusst verletztend genannt zu haben. Damit habe sie den falschen Eindruck erweckt, Meinunngsfreiheit sei ihr nicht so wichtig. Dem sei nicht so. Ihre Entscheidung, die Entscheidung der deutschen Gerichtsbarkeit zu überlassen, wei aber richtig. - Ich sehe hier Ansätze einer leichten Persönlichkeitsspaltung. Es ärgert sie, dass sie geesagt hat, was sie dachte und immer noch denkt, was aber manche Leute hätten in den falschen Hals bekommen können. Um dergleichen Missgeschicke zu vermeiden, sollten Politiker ihre öffentlichen Äußerungen vielleicht besser Sprachautomaten übertragen.
21. - Donnerstag
Es gibt einige Berichte über einen Fackelzug am hellen Tag in Jena von einer Vereinigung namens Thügida, die offenbar noch "rechter" ist als Pegida und "zufälligerweise" am Geburtstag Adolf Hitlers stattfand. 200 Teilnehmer kamen und bis zu 4000 Gegendemonstranten. Einige von ihnen warfen Steine auf die Fackelträger. Es gab mindestens zwei verletzte Polizisten und beschädigte Polizeifahrzeuge.
20. - Mittwoch
Die Nachrichten erwähnen kurz, dass bei dem gestrigen Selbstmordanschlag in Kabul nicht sieben, sondern - mindesten 64 Menschen getötet über 300 verletzt wurden. Das war offenbar der Auftakt der Frühjahrsoffensive der Taliban. Die Anzahl der auf diese und ähnliche Weise getöteten Zivilistehn ist seit 2009 stetig angestigen. Der amerikanische General Nicholson, seit März als Oberkommandierender der noch im Lande befindlichen NATO-Truppen meint, der Angriff sei ein Zeichen für die Schwäche der Taliban. Dieser interessante Kommentar bleibt weitgehend unkommentiert. Die Aufspaltungen, die der Anti-Terror-Einsatz des Westens in Afghanistan hervorgerufen hat, ist - außer in zahlreichen Tatort-Filmen, in denen es um die Foklgen für traumatisierte deutsche Soldaten geht, kaum ein Thema. Ach doch: Es gab einen Kommentar, dass eine solche Anzahl von Toten in Europa Presse und Politik für Monate in Aufregung versetzt hätte.
19. - Dienstag
Ein kleiner Bericht im Radio berichtet von der Reise von Eva Menasse, einer deutschen Schriftstellerin, ins palästinensische Westjordanlan. Auf dem Hintergrund ihrer jüdischen Familiengeschichte war sie schon häufig in Israel, aber noch nie in den Gebieten, die nach dem Sechstagekrieg 1967 von Israel besetzt wurde. Nun ist sie mit anderen Schriftstellern in Hebron und berichtet davon, wie die Kontrollen, die der Sicherheit der dort lebenden jüdischen Siedler dienen, das Leben einengen. Sie äußert die Sorge, dass es ihr nicht gelingen könnte, die hier errichteten Grenzen auch nur ansatzweise angemessen zu beschreiben. Im nächsten Jahr, zum 40. Jahrestag des Krieges, soll ein Sammelband mit Reiseberichten erscheinen.
18.- Montag
Ein Interview von Frau vonm Storch, stellvertretende Parteivorsitzende des AfD sorgt für Wirbel. Sie hat behauptet, der Islam enthalte eine Ideologie, die mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sei. Sie differenziert aber auch: "Ein anderer Stellvertreter fordert ein Verbot von Minaretten, differenziert aber auch: "Viele Muslime gehören zu Deutschland, aber der Islam gehört nicht zu Deuttschland." Damit wird eine alte Diskussion, angestoßen vom Ex-Bundespräsidenten Wulff wieder aufgewärmt. Angela Merkel widerspricht, schließlich übten die meisten Muslime im Lande ihre Religion im Rahmen des Grundgesetzes aus. EU-Parleamentspräsident poltert, die AsD sei eine Schande für Deutschland. - Man traut es sich kaum zu sagen, aber Frau von Storch hat vielleicht nicht so ganz unrecht - abgesehen davon, daa es "den" Islam ja ebensowenig gibt wie "das" Christentum. Der Profet war von Beruf Stammespolitiker, kein Wanderpresiger wie Jesus oder Prinz Gautama. Und "der" Islam hat in den Gemeinwesen, in denen er dominiert hat, nie so etwas wie eine Epoche der Aufklärung erlebt. Trotzdem gibt es viele aufgeklärte Muslime, aber die preäsentieren eben einen von vielen Islamen. Aber darüber eflektieren weder Frau von Storch und ihre Anhänger noch Frau Merkel.
17. - Sonntag
Laut einer Blitzumfrage im Auftrag der ARD hält die Mehrheit der Bürger die Entscheidung der Regierung, die Strafanzeiger gegen Jan Böhmertmann zuzulassen, für falsch. AfD-Sympathisanthen bilden dabei die Spitze gefolgt von Anhängern der Linken, der Grünen, der SPD und der FDP, was die Prozentzahlen der Ablehung angeht. Nur bei den CDU-Wählern halten sich Zustimmung und Ablehung die Waage. Der Widerstand der SPD gegen die Entscheidung scheint ihr aber nicht zu nutzen. In der "Sonntagsfrage" bekommt sie gerade noch 21%, so wenig wie nie. Tröstlich: Populismus zahlt sich für eine ehemalige Volkspartei nicht aus, wohl aber für eine Proestpartei.
16. - Sonnabend
Papst Franziskus und zwei orthodocxe Patriarchen besuchen Lesbos und die dort auf eine mögliche Weiterreiseoder Rückführung wartenden Flüchtline. Drei Familien fliegen dann mit dem Heiligen Vater nach Italien. Sie sind Muslime, haben ordentliche Papiere, sind vor dem EU-Türkei-Abkommen angekommen und können in Italien Asylanträge stellen. Ein kleines Zeichen der Hoffnung und zugkleich eine riesige PR-Aktion, Papalismus sozusagen.
15. - Freitag
Nach der Einigung von gestern kommt heute die Spaltung. Die SPD ist gegen den von der Kanzlerin verkündeten Beschluss, dass die Genehmigung zu einem Strafverfahren gegen Jan Böhmermann erteilt wird. Dabei hat sie einen Kompromiss verkündet. Die Angelegenheit wird der unabhängigen Justiz übergeben, aber für die Zukunft soll Derartiges verhindert werden, da der $ 103 des Strafgesetzbuchs alsbald ersatzlos gestrichen werden soll.
14. - Donnerstag
Die Koalition hat sich auf ein "Integrations-Gesetz" geeinigt, das unter dem Motto "fördern und fordern" Anreize und Sanktionen für Migranten miteinander verbindet. Zentraler Punkt sind die Eingliederung in den deutschen Arbeitsmarkt und der Spracherwerb. Migranten werden hier auf den homo economicus reduziert, die Regierung - nicht große Teile der Bevölkerung - verabschieded sich von der Willkommenskultur, das berühmte "Wir schaffen das!" bekommt eine neue Bedeutung.
13. - Mittwoch
Nun ist der Fall Böhmermann auch im Europäischen Parlament gelandet. Ratspräsident Juncker meint, dass die Reaktionen Erdogans das Land nicht näher an Europa heranbringen würde. Die Kanzlerin, die das "Gedicht" kritisiert hat und dafür auch schon kritisiert wurde, versucht eine andere Art von Trennung. Die Flüchtlingskrise sei eine Sache, die Meinungs- und Kunstfreiheit eine andere. Die Frage ist nur, ob diese Freiheiten auch auch gelten, wenn sie Menschen betreffen, die außerhalb des Bereichs dieser Freiheitsrechte leben. Die überwiegende öffentliche Meinung gerade von Medienmachern kommt hier einem Wertimperialismus ziemlich nache. Was wir ertragen können, müssen auch alle anderen auf der Welt ertragen.
12. - Dienstag
Das Böhmermann'sche "Schmähgedicht" schlägt weiter Wellen. Der Verfasser steht unter Polizeischutz und hat die nächste für den kommenden Donnerstag geplante Sendung abgesagt. Die Schar seiner Unterstützer nimmt zu. Der Slogan "Freiheit oder Erdogan" liegt in der Luft. Die interessante Frage, inwieweit der Anlass des Streites wirklich eine Kunstform war und daher besonderen Schutz genießt, tritt in den Hintergrund. Der Clip, der die Steine ins Rollen brachte, wird nicht mehr gezeigt, auch nicht von den Fernseh-Machern, die massiv für den "Satiriker" Stellung nehmen.
11. - Montag
Im 19 Uhr-Journal von NDR-Kultur gibt es ein Gespräch mit einem Satireexperten zu Fall Böhmermann. Der ist der Meinung, dass er in dem fraglichen Gedicht weder Satiire noch irgendetwas Geist-reiches entdecken kann. Karl Kraus hätte sich im Grabe umgedreht, wenn er den heutigen Wirbel miterlebt war. Der nämlich, selbst häufig angeklagt, vertrat die - altmodische - Meinung, dass jeder, der das Satire-Etikett nur vor sich herträgt, sich aber nur mit schlechten Produkten selbst wichtig machen will, vor Gericvht gehörte. - Am Abend soll dann im Ersten mal wieder über "den" Islam diskutiert werden, also etwas, das es empirisch nicht gibt. Was es gibt, sind "Islame". Würden sich Fernsehmacher trauen, im Hauptprogramm etwa die Frage zu diskutieren, woher es kommt, dass es so viele Islame gibt und wie man ihnen zu mehr innerislamischen Harmonie verhelfen könnte, wären die Einschaltquoten gering, schon weil die Machen einer solchen Sendung keine Prominenten finden, die zu einem solchen Thema Auskunft geben könnten. . - Wir befinden uns also in einem Teufeldkreis, in dem uninformierte Berichterstattung die Probleme verschleiert, die sie durch Diskussion zu lösen vorgibt.
10. - Sonntag
An der griechisch-mazodnischen Grenze hat es wieder einen Zwischenfall gegeben. Erneut versuchten Flüchtlinge, den Grenzzaun zu überwinden. Die Mazedonier setzten Tränengas ein, angeblich nachdem von der griechischen Seite aus Steine geflogen waren. Es gab Verletzte und wie schon früher den Verdacht, dass Flugblätter zu der Aktion aufgerufen hätten. - In Bingen wurde ein Syrer festgenommen, der in einem Haus einen Brand gelegt hat und mit einem Hakenkreuz an der Hauswand aeinen Hinweis auf die Urheber der Tat geben wollte. Er gestand und gab als Grund beengte Wohnverhältnisse und eine fehlende Zukunftsperspektive an.
8. - Freitag
Schon wiederist es Erdogan, der
indirekt Schlagzeilen verursacht. Jan Böhmermann ist gestern nicht bei der Verleihung des Grimme-Preises erschienen, den er für einen fabrizierten Stinkefinger erhalten hat, den er dem
griechischen Ex-Finanzminister Varoufakis angehängt hat. Jetzt hat er die Staatsanwaltschaft wegen einer Verunglim,pfung des türkischen Präsidenten am Hals. In einer ZDF-Sendung hat er ein
Schmägedicht über den Präsidenten verlesen, nachdem er vorher angekündigt hat, dass das in deutschland verboten sein. Er wusste, dass es im Strafgesetzbruch einen Strafgesetzbuch einen Paragrafen
gibt, der die Beleidigung ausländischer Staatoberhäupter unter gewissen Umständen unter Strafe stellt. Er hatte seine Absage mit der Begründung versehen, er "fühle sich erschüttert in
allem, woran er bisher geglaubt habe". Woraus dieser Glaube bestaht, wurde nicht gesagt, aber immerhin: Auch Böhmernmann glaubt - und verunglimpft aus Leidenschaft. Aber mir dem "Glauben" spaltet
er natürlich auch. Ebenfalls leidenschaftlich, aber eher sachlich-langatmig, verteidigte die saarländische Ministerpräsidenten den Abwesenden. Der sei ein "leidenschaftlicher Medienmacher, der
uns den Atem raubt und in Atem hält, stehe für einen intelligente Mediengestaltung, lote Grenzen aus und verletze sie bewusst."
7. Donnerstag
Der türkische Taxifahrer, der uns vom
Flughafen nach Hause fährt, meint auf die Zelte für Flüchtlinge, die wir von der Autobahn aus sehen, dass es gut sei, wenn jetzt weniger von ihnen kämen. Und die, die schon da sind, sollten
wieder zurück. Die hätten hier keine Chance, sich zu integrieren. Das könne er mit seiner eigenen Familiengeschichte belegen. Da hätte es zwei Generationen gedauert, bis man sich hier eingelebt
habe. Da wird ein Schulterschluss zwischen den etablierten Ausländern und uns Deutschen vorgeschlagen, der die neuen "Anderen" ausgrenzt. Ein weiterer Punkt, an dem wir und seiner Meinung nach
einig sein können: Erdogan ist ein Schurke.
4. - Montag
In Casablanca besuchen wir eine der
größten Moscheen der Welt gleich zum zweitehn Mal. Gestern Abend haben wir sie angestrahlt von außen gesehen. Vorher war "Ricks Café" zu sehen, in dem der berühmte Hollywood Firlm spielt, das
allerdings im Original in Hollywood aufgebaut wurde. Zur Drehzeit 1942 war ja auch in dieser Region Krieg. Die Moschee ist innen wie außen gigantisch. 25.000 Leute passen hinein, weitere 200.000
können auf dem Vorplatz mitbeten. Benannt ist sie nach ihrem Urheber Hassan II, dem Sultan (so der Titel der Herrschers in der Landessprache), der das Land 38 Jahre lang auf seinen jetztigen Kurs
gebracht hat. Der ist rigide, der König - jetzt herrscht ein milder Sohn - ist ein absoluter Monarch, die Parlamente täuschen Demokratie vor. Ein wenig wie in Myanmar und aneren asiatischen
Staaten, fällt mir ein. Die große Moschee, direkt am Meer gelegen, ist also eine große Demonstration der islamisch gestützten Macht des Herrschers und ein Stützpfeiler der nationalen Identität
des Landes. Einheit und Demokratie passen auch hier nicht zusammen.
1. - Freitag
Die erste Mitteilung unseres Reiseführers:
Keine Soldaten und Polizisten fotographieren! Das kann einen hier ins Gefängnis bringen. Er erwähnt nicht, dass das Bilderverbot im Islam verwurzelt ist . Auch der Profet wird nicht bildlich
dargestellt. Aber unser kritischer Reiseleiter - ein in Hamburg geborener Türke mit iranischem Vater - will uns auch sagen, dass hier die Ordnungskräfte eine besondere Rolle spielen und mit ihnen
nicht zu spaßen ist.
MÄRZ 2016
31. Donnerstag
Im Flughafen in Marrakesch herrsvcht
bei der Ankunft am frühen Morgen großes Gedränge. Es gibt zu wenig Personal bei der recht sorgfältigen Passkontrolle. Auch hier hat die Terrorismushgefahr zu mehr Aufmerksamkeit geführt. Außerdem
ist das Schlangestehen in einem Raum mit niedriger Decke nicht sonderlich gut organisiert. Das führt zu erheblichem Unmut bei den Urlaubern und auch zu Aggressionen gegeneinander. Auf dem Weg zu
vermeintlich freien Schalterplätzen gibt es beinahe ein Handgemenge. Die deutschen Streithähne werden sicher keine Freundemehr werden
30. - Mittwoch
Heute ist Kofferpacken angesagt, morgen geht es für 7 Tage nach Marokko,
ein islamisches Land in Augenschein nehmen, das den arabischen Frühling einigermaßen heil überstanden hat. Meine Vermutung: Das liegt daran, dass hier ein islamisch getöntes Königtum besteht, das
das Land mit fester Hand - also autoritär - zusammenhält und bin neugierig, ob und wenn ja, wie sich diese Vermutung bestätigt.
29. - Dienstag
Thema des Tages im Radio der Nordlichter ist die Einbestellung des deutschen Botschafters in der Türkei wegen einer satirischen Sendung, in der Staatspräsident Erdogan aufs Korn genommen wurde. Erwiesen ist: Erdogan versteht keinen Spaß. Deutsche Politiker aber eher auch nicht. Sie stilisieren diese Satire-Affäre zu einer Staats-Affäre hoch. Natürlich kann dem deutschen Fersehen nicht vorgeschrieben werden, wie es über ausländische Politiker berichtet. Und natürlich kommt nicht infrage, dass der erfolgreiche Clip eingestampft wird. Aber wir müssen ertragen, dass der Betroffene unsere Art von Satire nicht witzig findet.
28. - Ostermontag
Erst heute realisiere ich, dass ein Selbstmordanschlag in Lahore (Pakistan), der 70 Todesopfer forderte, den Christen galt, die an diesem Tag in einem Park das Osterfest verbrachten. Gestern war meiner Familei und mir nur aufgefallen, dass diese Meldung ganz am Ende der Tagesschau-Nachrichten gemeldet wurde. Heute wird man feststellen könne, dass die Religionskriege in eine neue Phase treten. Eine Gruppierung der Taliban, die sich zu dem Anschlag bekannt hat, kündigte weitere Aktionen gegen Christen an.
27. - Ostersonntag
Die Hauptnachrichten des Tages ist die Rückeroberung von Palmyra durch die syrische Armee. Der IS ist auf dem Rückmarsch - und die Kukturschätze der Stadt sind weit weniger beschädigt als befürchtet. Was kaputt ist, kann wieder restauriert werden. Und: Russiche Truppen und Flugzeuge haben geholfen. - Wenn das dazu beitragen sollte, dass im Kampf gegen das Kalifat die alten Feindbilder verblassen, wäre das großartig. Aber was wird, wenn der "Islamische Staat" in seiner jetzigen Form eines Tages verschwunden sein sollte?
26. - Sonnabend
Bundesinnenminister de Maizière ernert ein Programm der "Integrationspflicht für Migranten nach dem prägnaten Motto einer Schlagzeile: "Wer nicht Deutsch lernt und angebotene Arbeitsplätze ablehnt, fliegt raus". Weiter sollen Aufenthaltsgebote erlassen werden, um Ghettobildung zu verhindern. "Integration" wird hier reduziert auf ein oberflächliche, einseitige und den deutschen ökonomischen Interessen dienende Assimilation der "Fremden" in das deutsche Umfeld. Die SPD ist grundsätzlivh auch dafür und die Willkommenskultur stillschweigend einer Forderungskultur gewichen.
25. - Karfreitag
Die Prediger dieses Tages betonen die versöhnende Kraft des Kreuzes, islamische Extremisten werden sich wohl eher an die Kreuz-Züge und ihre plündernden Ritter erinnern.
24. - Grünonnerstag
Heute ist der Jahrestag des Flugzeugabsturzes in den franzöischen Alpen, der aller Wahrscheinlichkeit nach von einem psychisch kranken Piloten mit Absicht herbeigeführt worden ist. Trauer verbindet, aber nicht über alle Grenzen hinweg. Man hätte sich gewünscht, dass die Lufthansa mehr Anteinahme gezeigt hatte, und das nicht nur in erster Linie im Blick auf die materiellen Leistungen der Fluglinie. Ähnliches gilt fürdie Begeleitumstände des heute verkündeten Urteils gegen Radovan Karadžić. Es reichte den Angehörigen der Opfer verständlicherweise nicht. Das durch Untaten wie in Srebrenica verursachte höllenartige Unglück ist immer größer als das, was Rechtsprechung wieder ins Lot bringen kann.Es besteht eine nicht wegzudenkende Asymmetrie zwischen den Dimensionen von Hölle und Himmel auf der einen und den Möglichkeiten irdischer Gerechtigkeit auf der anderen Seite. Geteilte Himmel sind die logische Konsequenz davon.Ob es auch geteilte Höllen geben kann, das übersteigt momentan meine Fantasie.
23. - Mittwoch
Am Abend gibt es in der ARD noch einmal einen "Brennpunkt" zu den Terroranschlägen. Er offenbart dieselbe Hilflosigkeit in der Berichterstattung wie die gestrigen Sendungen. Unbedeutende Nachrichten - man kennt die Namen zweier Selbstmordattentäter - werden wiederholt, die zugeschalteten Experten erzählen, was auch ein Nicht-Experte sagen könnte. Hauptzweck der Übung: Sendezeit füllen unter Vortäuschung der Befriedigung des Informationsbedürfnisses.
22. - Dienstag
Von den Terroranschlägen in Brüssel erfahre ich zuerst durch eine Rundmail eines Verwandten. Seine Frau ist heute nicht an ihrem Arbeitsplatz in Belgien, sondern auf Dienstreise in Israel. Beruhigend finde ich das bei näherem Nachdenken eher nicht. - Auch sonst fallen mir eine Menge schräger Assoziationen ein. Da ist einmal die europäische Hauptstadt Brüssel. Sie ist auch das Zentrum eines Landes, das seine ethnischen Konflikte bis heute nicht im Griff hat und das seinen eher künstlichen Zusammenhalt zu einem guten Teil dem in Brüssel residierenden Bürokratien eines Europa verdankt, das seine Einheit selbst um so mehr verliert je mehr es sich ausdehnt. Die zahlreichen Bekundungen der Solidarität verdecken, dass mit den Anschlägen gleich mehrere Schwachstellen der europäischen Idee getroffen wurden. Die beruht, wie an diesem Tag wieder und wieder wiederholt wird, auf den "europäischen Werten". Die allerdings sind entstanden auf der Hinterlassenschaft der europäischen Kolonialmächte. Hier hat Belgien im Kongo alles an Unterdrückung übertroffen, was auch anderswo angerichtet wurde. Die Folgen sind bis heute spürbar - nur dass jetzt die Politiker des Landes im benachbarten Den Haag vor Gericht gestellt werden wie gerade der ehemalige Vizepräsident des Landes.
21. - Montag
Präsident Obama besucht in diesen Tagen Kuba und beendet damit die im Jahr 1962 begonnene Blockade des immer noch irgendwie kommunistischen Landes, auf dessen Boden in Guantanamo immer noch 91 Gefangene seit Jahren ohne Gerichtsverfahren festgehalten werden. Die Gespräche des amerikanischen Präsidenten mit seinem kubanischen Kollegen machen deutlich, dass noch ein langer Weg vor einer Lösung aller Probleme liegt. Immerhin: es bewegt sich etwas - wenn auch erst nach sehr langer Zeit. Frieden und Versöhnung lassen sich offenbar nur im Schneckentempo erreichen.
20. - Sonntag
Der heutige Tatort, immer noch Kult, präsentiert eine in mehrfacher Hinsicht schrille Story zu den aktuellen Themen von Islamismus und was er uns hier in Deutschland angeht. Ein Anschlag wird verhindert, soweit die gute Nachricht. Die schlechten überwiegen aber. Die vielen Toten, die uns da präsentiert werden, sind nur Kulisse. Da wirbt Kommissar Falke um eine neue Partnerin als Ko-Kommissarin. Die wiederum hat in Afghanistan einen Kollegen erschossen, der Amok lief, was sich aber nicht in ihre Personalakte verirrt hat. Außerdem werden wir Zeuge zahlreicher Dialoge zwischen einer Reihe von aufrechten Kämpfern für irgendeine Art von Gerechtigkeit. Der Klebstoff, der da nötig ist, um die Risse dieser Welt zu kitten, stinkt zum geteilten Himmel. - Heute ist außerdem in Hamburg nicht nur ein Frühlingsanfang, der sich sehr kalt anfühlt, sondern auch der erste Tag, an dem die Beschlüsse von Brüssel in kraft treten sollen. Es fehlen aber die europäischen Beamten, die überprüfen sollen, wer denn von den Flüchtlingen, die weiter aus der Türkei nach Griechenland kommen, "legal" ist oder sein könnte. Und wie man die "Illegalen" wieder zurückschaffen soll, ist auch völlig unklar. Den Reifen, die da in Brüssel gefertigt worden sind, fehlt immer noch die Luft. Aber: "Scheitern verboten" titelt ein Nachrichtendienst. Wie bei vielen ander4en Projekten, wird der Erfolg der Mission schon von Beginn an festgeschrieben.
19. - Sonnabend
In Istanbul hat es wieder einen Selbstmordanschlag mit einigen Toten gegeben. Deutsche Einrichtungen bleiben auf Grund von Terrorwarnungen geschlossen. Ein sicheres Herkunftsland wird immer mehr zu einem unsicheren Urlaubsort.
18. - Freitag
Das Abkommen mit der Türkei steht. Es ist hochbürokratisch. So gibt es etwa 72 Bedingungen für die Gewährung der Visafreiheit für türkische Bürger bei Reisen in die EU. Die sollen alle bis Ende April umgesetzt werden. Aber die CSU ist absolut gegen diesen Beschluss - und viele andere auch. Ein Kommentar im Netz: Ein rabenschwarzer Tag für die "Merkel-muss-weg" Fans. Die müssen nun hoffen, dass die Vereinbarungen nicht eingehalten werden. Wahrscheinlich ist, dass sie modifiziert oder einfach vergessen werden, weil der Einigungsdruck so immens ist. Dann ist die Frage: Wo wird der Druck entweichen? Die nächsten Bruchstellen sind vorprogrammiert.
17.- Donnerstag
Die Regierungschef der EU tagen bis in die Nacht und erzielen ein Ergebnis. Das muss dann morgen dem türkischen Ministerpräsidenten noch vermittelt werden. Es gibt massive Kritik an den Forderungen der Türkei in Sachen Visaerleichterungen.
16. - Mittwoch
Regierungserklärung der Bundeskanzlerin zum bevorstehenden nächsten Flüchtlings-Gipfel in Brüssel. Ich höre in der Zusammenfassung der Tagesschau auf allen Seiten der Debattierer vor allem die Worte "muss" und "müssen". Aus dem mutigen "Wir.Schaffen.Das" ist ein eher verzagt-bedrohlich klingendes "wir müssen das schaffen" geworden. Das "Wir" changiert, mal ist es Europa, mal Deutschland. Und schon diese beiden "Wirs" sind nicht identisch. Da ist die Luft schon raus aus den Reifen, die den Wagen mit den Beschlüssen von Brüssel vorwärtsbringen sollen, bevor der Gipfel begonnen hat.
15. - Dienstag
Winfried, Kretzschmann, der grüne Wahlsieger in Baden-Württemberg ist ärgerlich. Die FDP hat abgelehnt, mit den Grünen und der SPD eine Regierung zu bilden. So etwas tut man nicht. Man redet doch erst miteinander, bevor man eine Entscheidung fällt. Vorher muss man doch schauen, wie man das Land voranbringen kann. Da spricht ein katholischer grüner Wertkonservativer, der von der Bevölkerung eben wegen der Verbindung von Gegensätzen in seiner Person geschätzt wird. Und da die SPD nicht mit der CDU und der FDP koalieren will, bleibt nur noch eine schwarz-grüne Koalition. Das könnte passen, würde allerdings für die CDU das Risiko bedeuten, ebenso im grünen Schatten des Landesvaters zu versinken wie es der SPD passiert ist.
14. - Montag
Die Wahlergebnisse sorgen für Krach in der CDU und vor allem gegenüber der CSU, die die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin für die Stimmverluste verantwortlich macht. Es geht hier um die Existenz der Union, sagt er. „Wir werden gigantisch scheitern“, falls sich nichts ändert, sagt er. - In Dresden wird auch heute demonstriert. Pegida feiert den Wahlsieg der AfD, will die Partei aber auch kontrollieren, damit sie Kurs hält. 3.500-4.000 Teilnehmer sind gekommen, an der wöchentliche Gegendemonstration nehmen weniger als 1000 Menschen teil. - An der griechisch-mazedonischen Grenze hat es eine Art Ausbruchsversuch gegeben. Es wurden Flugblätter verteilt, die eine neue Route ins Nachbarland aufzeigte. Zahlreiche Flüchtlinge haben sich auf den Weg gemacht und sind durch einen eisigen Fluss gegangen. Es ist von drei Toten die Rede. Nun werden die Geflohenen von der mazedonischen Polizei aufgegriffen und nach Griechenland zurückgeschickt.
13. - Sonntag
Die AfD hat es bei den drei Landtagswahlen geschafft, "Große Koalitionen" in den drei Ländern unmöglich zu machen. Darüber hinaus ist es angesichts von Wahlergebnissen der SPD in Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg von knapp über 10% noch davon sprechen kann, dass Mutter des deutschen Parteisystems noch eine Volkspartei ist. Das reklamiert nun die AfD in Sachsen-Anhalt für sich, die dort mit 24% zweitstärkste Partei geworden ist. Nun muss nach neuen Koalitionsmustern gesucht werden: Neben der Ampel, (rot-gelb-grün), die schon bekannt ist, kommen jetzt auch Kenia- (schwarz-rot-grün) und Deutschland- (schwarz-rot-gelb) Koalitionen auf den Markt der Optionen. Die AfD muss in jedem Fall draußen vor bleiben wie auch die Linke, die in den westlichen Ländern die Sperrklausel nicht übersprungen hat. - Die Flüchtlingskrise hat eine neuen innerdeutsche Grenze (alle gegen die AfD) geschaffen, aber auch die Möglichkeit neuer Allianzen.
12. - Sonnabend
Angela Merkel hat ihren letzten Wahlkampf-Auftritt in Baden-Württemberg. Hauptthema: Die Flüchtlingspolitik, was sonst. Die Kernsätze, die es in die Nachrichten schaffen: Flüchtlinge müssen bereit sein, sich zu integrieren, sonst müssen sie wieder gehen.
11. - Freitag
Bulgarien schickt mehr Soldaten an seine Grenze. Das Land fürchtet, Durchgangsland für eine "Ostbalkanroute" zu werden, nachdem die westliche über Mazedonien geschlossen worden ist.
10. - Donnerstag
"Idomeni versinkt im Schlamm" titeln Zeitungen. Dort warten immer noch an die 10.000 Menschen darauf, Richtung Norden weiterreisen zu können. Andere geben auf und lassen sich mit Bussen in andere Lager in Griechenland bringen. Dort sitzen jetzt an die 35.000 Flüchtlinge fest und täglich kommen neue dazu.
9. - Mittwoch
In der Praxis ist die Route seit heute geschlossen. Slowenien hat den Anstoß dazu gegeben. Es lässt nur noch Migranten mit gültigen Einreisepapieren oder im Lande direkt Asyl Suchende ein. Österreich begrüßt den Beschluss, an der griechisch-mazedonischen Grenze verschärft sich die Lage. - Die Beschlüsse der Konferenz in Brüssel werden kritisiert. Allein die Möglichkeit einer "Rücknahme" wird als eine Verachtung der Menschwürde gebrandmarkt.
8. - Dienstag
Die Konferenz in Brüssel hat nach zähen Beratungen einen Deal hervorgebracht. Die Türkei ist unter gewissen Bedingungen - Visumfreiheit, mehr Geld, Beitrittsoption zur EU - bereit, Flüchtlinge aus Griechenland "zurückzunehmen" (welch ein Wort!), wenn im Gegenzug Flüchtlinge aus den Lagern nach Europa umgesiedelt werden. Es hat ein rhetorischer Paradigmenwechsel stattgefunden. Jetzt gilt es nicht mehr in erster Linie, Verfolgte willkommen zu heißen, sondern Schlepper zu bekämpfen. Damit wird jeder, der in der Türkei ein Boot besteigt, um sich auf eine griechische Insel bringen zu lassen, zum Illegalen. - Außerdem hat Angela Merkel es verhindert, dass im Abschlussdokument der Satz "Die Balkanroute ist geschlossen" auftaucht.
7. - Montag
Dasselbe passiert in der nächsten "Flüchtlings-Sendung" am Montag Abend beim harten, aber fairen Frank Plasberg. Fünf Menschen aus fünf deutschen Parteien - die FDP und die AfD sind nicht vertreten - diskutieren. Am Ende wird man als urteilender Zuschauer an die alte Geschichte von dem Richter erinnert, der einen Streit zu entscheiden hat. Du hat recht, sagt er zur Einlassung von Partei eins und dasselbe zu der des Kontrahenten. Eine Stimme aus dem Zuschauerraum sagt: Das geht aber nicht, dass beide recht haben. De weise Richter sagt: Da hast auch du recht. Das ist eine Geschichte aus der Zeit, in der die Demokratie noch nicht erfunden war. Auch die Diskussion vom Montag Abend war eine verkappte Wahlveranstaltung im Blick auf die drei Landtagswahlen am 13. März. Bei den Kommunalwahlen in Hessen hat die AfD dreizehnplus Prozent gewonnen und ist damit nach CDU und SPD drittstärkste Kraft geworden.
Dann begegnet mir an diesem Tag noch eine ganz andere, völlig unpolitische Geschichte.
Ich habe bei den ebay-Kleinanzeigen ein IKEA-Bett mit Lattenrost eingestellt. VB 40 €. Es gehen schnelle einige Anfragen ein und gegen Mittag kommt auch ein erster Anruf. Malik möchte das Bett haben, weiß aber noch nicht, wie sie es abholen soll. Sie hat kein Auto und auch keinen Führerschein. Im Blick auf die weiteren schon eingegangenen Anfragen - wo ist meine finanzielle Schmerzgrenze? - sage ich zu, dass sie das Bett haben kann, wenn sie bereit ist, die 40 € zu zahlen. Sie ist einverstanden, höre ich. Sie wird bis zum Wochenende sehen, einen Transport zu organisieren. Sie wohnt nicht weit weg und hat auch schon überlegt, das mit einem Wägelchen zu Fuß zu machen. Ich bin gerührt. Ich nehme das Bett aus dem Portal und sage allen anderen Anfragern ab, wie von ebay gewünscht. Ein paar Stunden kommt eine Mail mit der Anfrage, ob das Bett auch ohne Lattenrost für 25 € zu bekommen sei. Ich maile zurück, dass das Bett schon verkauft sei und füge hinzu, dass ich hoffe, dass das Bett nicht mehr im Netz angeboten ist. Kurz danach realisiere ich, dass die Mail von Malik kam. Sie schreibt danach eine weitere Mail. "Da ich noch ein Lattenrost im Keller habe ,da hat mich meine Tochter eben daran erinnert." Aha. Ich maile zurück: "Hallo Malik. Tut mir leid, ich habe nicht gesehen, dass Sie es waren, die die letzte Mail geschickt haben. Zur Sache: Ich habe jetzt allen anderen Anbietern abgesagt, weil wir beide uns auf die 40-Euro-Lösung verständigt hatten. Ich denke, es ist das beste, wenn Sie woanders nach einem Bett ohne Lattenrost suchen." Darauf kommt kurz danach diese Antwort: "Wir haben doch heute telefoniert , da haben Sie mir zugesagt ich könnte es diese Woche abholen . Weil ich einen Fahrer finden müsste , Oder ich hätte es selber mit einem Wagen ,in den Bus ." Ich maile zurück: " Wir habe heute telefoniert und den Verkauf von Gestell UND Lattenrost für 40 € vereinbart. Jetzt fragen Sie an, ob ich Ihnen nur das Gestell verkaufen zu einem billigeren Preis verkaufe. Die Antwort ist leider NEIN. Ich habe gerade versucht, Sie anzurufen, aber Sie gehen nicht ans Telefon. Wenn Sie sich nicht innerhalb der nächsten halben Stunde melden, biete ich das Bett erneut bei ebay an." Die Antwort: "Ich bin zu spät ans Telefon gekommen . Ich habe Ihnen gesagt , Transport Problem habe ich , da ich ein Lattenrost habe und auch dieses Transport Problem habe ,bietet es sich ja wohl für mich an danach zu fragen ! Aber gut Sie möchten es nicht ,ist OK ! Ich wünsche einen schönen Abend . MFG Malik ." Ich maile zurück "Alles klar – ich bin sicher, dass Sie ein Bett ohne Lattenrost kriegen werden. Viel Glück!" Sie darauf: "Ja bestimmt , danke ."
Das war eine ziemlich verunglückte Kommunikation, aber auch irgendwie typisch im Kontext von Werte- und Vertrags- oder noch ganz anderen Gemeinschaften, die global und in unserem Land nebeneinander existieren und miteinander ins Gespräch kommen.
6. - Sonntag
Einen Tag vor Beginn der Konferenz in Brüssel wiederholt Angela Merkel ihr Mantra: Es muss eine gemeinsame europäische Lösung her. - Am Abend bei Anne Will prallen dann die unterschiedlichen Welten innerhalb der EU aufeinander. Der slowakische Europaabgeordnete Richard Sulik, Gründer einer Partei namens 'Freiheit und Solidarität' stellt fest, dass Europa keine Werte-, sondern eine Vertragsgemeinschaft sei und untermauerte diese Ansicht mit kernigen Sprüchen. Dem widersprechen alle anderen, teilweise empört. Auch der österreichische Außenminister, der aber wie der Gast aus dem Osten der Meinung ist, dass die Balkanroute geschlossen werden müsse, gab ein Bekenntnis zur europäischen "Wertegemeinschaft" ab. Werte spalten also - und darüber kann in Talkshows offenbar nicht reflektiert werden. Was dort diskutiert wird, bleibt unterhalb dessen, was für eine Lösung notwendig wäre - das Infragestellen der eigenen Position.
5. - Sonnabend
An der griechischen Grenze zu Mazedonien vergrößert sich die Anzahl der Wartenden. An die 11.000 Menschen sitzen in einem kleinen Dorf fest. Die mazedonischen Behörden lassen täglich nur einige 100 Menschen einreisen. Es gibt eine Hochkonjunktur von Berichten über das Elend an dem Grenzübergang, aber eine Lösung ist nicht in Sicht. Vielleicht sollte man darüber nachdenken, inwieweit die Berichterstattung über die Krise dieselbe beeinflusst.
4. - Freitag
Der Plan war offenbar nicht im Gepäck. Die türkische Regierung hat offenbar alle Hoffnungen auf einen EU-Beitritt aufgegeben. Sie hat angeordnet, dass die größte Zeitung des Landes unter staatliche Aufsicht gestellt wird. Es gibt wütende Proteste im Land und international - aber am Montag beginnt in Brüssel eine Tagung, auf der mit der Türkei darüber geredet werden soll, wie die Flüchtlingsströme nach Europa verringert werden können.
3. - Donnerstag
EU-Ratspräsident Donald Tusk hat bei einem Besuch in Griechenland an alle Flüchtlinge appelliert, nicht nach Europa zu kommen, wenn sie dafür wirtschaftliche Gründe haben. Außerdem warnt er davor, Schleppern zu vertrauen. Er kritisiert die Schließung der Grenzen auf der Balkanroute und fordert, dass die Außengrenzen Griechenlands dann die Flüchtlinge direkt an den türkischen Grenzen zu stoppen. Der Präsident aus einem Land, das die Aufnahme von Flüchtlingen verweigert, reist weiter in die Türkei. Es ist nicht bekannt, ob er einen Plan im Gepäck hat, der den Türken die EU-Mitgliedschaft anbietet unter der Voraussetzung, dass sie überhaupt keine Migranten mehr ins Land lassen.
2. - Mittwoch
In der ARD-Talkshow von Sandra Maischberger geht es um den Präsidentschaftskandidaten Donald Trump. Dasselbe Thema dominiert im ZDF bei Markus Lanz. Beide Sendungen haben eine beruhigende Botschaft. Es wird in der amerikanischen Politik nichts so heiß gegessen wie es gekocht wird. Oder auch andersherum: Die Abschottung gegenüber den mexikanischen südlichen Nachbarn hat schon längst stattgefunden und die Muslim-Phobie ist auch nicht neu. Kurz: Trump kann die USA nicht spalten, weil das Land längst gespalten ist.
1. - Dienstag
Im Radio wird ein Konzert aus Berlin übertragen. Die drei großen Orchester der Stadt spielen unter Leitung ihrer Chefdirigenten für Flüchtlinge und Helfer. Der erste große Beifall wird laut, als der erste Redner die Besucher auch auf Arabisch begrüßt. Am Ende will der Jubel nicht enden, die nach Ende des Konzertes interviewten Musiker und Besucher sind tief bewegt. Musik kennt keine Grenzen, so ein Fazit.
FEBRUAR 2016
29. - Montag
Der Balkanroute ist einmal wieder ein "Brennpunkt. nach der Tagesschau gewidmet. Dieses Mal sind der Ausgangspunkt nicht Bilder von Flüchtlingen, die in einen eiskalten Fluss steigen, sondern Aufnahmen von der griechisch-makedonischen Grenze, an der Flüchtlinge einen Grenzzaun niederzureißen versuchen, mit Steinen auf Polizisten werfen und schließlich mit Tränengas zurückgetrieben werden. Der Moderator führt ein Nonsense-Gespräch mit einem Reporter vor Ort und stellt u.a. die Frage, ob "wir an diesem Abend noch Unangenehmes zu erwarten haben". Wir Zuschauer sitzen im Warmen, während es an der Grenze vor allem deshalb ruhig wird, weil es kalt wird und sich die Wartenden in ihre Zelte zurückziehen, wenn sie denn welche haben. "Wir" und "sie trennen Welten und manche Versuche, da Brücken der Gemeinsamkeit zu schlagen, sind abstrus, wenn nicht schlicht pervers.
28. - Sonntag
Die gute Nachricht des Tages: Die Waffenruhe in Syrien scheint weitgehend eingehalten zu werden. Die größten Scharmützel finden offenbar an der Medienfront statt. Russland agiert als Peace-Monitor und stellt Verstöße der Opposition gegen Assad fest. Die Diplomaten rüsten sich für eine nächste Verhandlungsrunde. Es könnte sein, dass auf allen Seiten Müdigkeit eingetreten ist und man einsieht, dass es reichen könnte, sich gegen die IS und die Al Nusra Front von Al Qaida zu verbünden.
27.- Sonnabend
Ein Vorschlag Sigmar Gabriels spaltet die Koalition. Der Vize-Kanzler schlägt eine Abkehr vom Sparkurs vor und fordert einen "Sozialpakt", der den Teilen der deutschen Bevölkerung zugute kommen soll, die sozial benachteiligt sind. Dieser Vorschlag wird vom Koalitionspartner als durchsichtiges Wahlmanöver vor den Landtagswahlen abgelehnt. Finanzminister Schäuble kommentiert aus Shanghai: "Wenn wir Flüchtlingen - Menschen, die in bitterer Not sind - nur noch helfen dürfen, wenn wir anderen, die nicht in so bitterer Not sind, das gleiche geben oder mehr, dann ist das erbarmungswürdig."
26. Februar 2016, Freitag
Die Lage der Flüchtlinge in Griechenland spitzt sich zu, nachdem die österreichische Einführung von Tageskontingenten zu einem Rückstau auf der Balkan-Route geführt hat. Athen rächt sich: Die Innenministerin Österreichs, die sich in Griechenland ein Bild von der Lage machen wollte, wird nicht empfangen.
25. Februar 2016, Donnerstag
Griechenland hat seinen Botschafter aus Wien zurückbeordert, um "das freundschaftliche Verhältnis zwischen beiden Ländern zu bewahren." - Der Bundestag verabschiedet das Asylpaket 2 mit der Stimmenmehrheit der Großen Koalition. An die 30 Abgeordnete der SPD stimmen mit der Opposition dagegen, mehr als erwartet, so die Kommentatoren. Die Opposition sieht in den Beschlüssen die Anstiftung zum Mord, weil jetzt wieder viele Flüchtlinge versuchen würden, in Booten über das Mittelmeer nach Europa zu kommen. Die Maßnahmen werden mit den Maßnahmen der ungarischen Regierung verglichen, also der totalen Abschottung. Das Flüchtlingsthema provoziert eine unversöhnliche Rhetorik.
18. - Donnerstag
Ich komme heute von meiner Asienreise zurück und bin erst einmal zu platt, um hier in Deutschland wieder etwas wahrzunehmen, das sich lohnte aufzuschreiben. - Auf der Reise habe ich fleißig Tagebuch geführt. Im Folgenden finden sich einige leicht veränderte Einträge, die mir so ungefähr zur Überschrift dieser Textsdammlung zu passen scheinen.
17. - Mittwoch
Ich blättere im Flugzeug in der aktellen Ausgabe der Bangkok Post. Auf der Titelseite gibt es einen Bericht darüber, dass sich die offizielle Ernennung des neuen Obersten buddhistischen Mönchs weiter verzögert. Es muss noch untersucht werden ob bei der Anschaffung seines Dienstwagens - eines OldieModells von Mercedes - alles mit rechten Dingen zugegangen ist.
16. - Dienstag
Ich treffe einen alten Bekannten, der jetzt im Myanmar Peace Centre arbeitet und lasse mir seine Sicht der Dinge über die aktuelle politische Situation erklären. Alles ist offen, sagt er, auch was den Frieden im Lande angeht. Es gibt allerdings einige beunruhigende Nachrichten. Nach dem Scheitern der Bemühungen, einen landesweiten Waffenstillstand zustande zu bringen, haben sich neue bewaffnete Gruppen gebildet. Nur wer eine Waffe trägt, wird am Verhandlungstisch ernst genommen. Die Regierung regiert darauf, dass sie die neuen Gruppen nicht als Partner anerkennt. Darunter ist auch die schon 2009 gegründete buddhistische Arakan Army (AA). Sie ist von der Kachin Independence Army unter christlicher Führung ausgebildet worden, hat im Kachin-Staat und auch im benachbarten Schan-Staat gekämpft. Jetzt gehen Einheiten nach Rakhine (Arakan). Dort hat die nationalistische Arakan National Party die Wahl zu Parlament des Staates gewonnen, die mit einer stark anti-muslimischen Agenda angetreten. Wenn die AA gegen die Muslime antreten sollte, so mein Gesprächspartner, gibt es einen Völkermord. Er hat im Übrigen indische Wurzeln.
15.- Montag
Besuchin einem der kaum noch zu zählenden UN-Büros der Stadt. Ich bin zu früh und werde auf die Dachterrasse des des Bürogebäudes geführt, wo sich ein schickes Restaurant befindet. Da findet dann auch das Gespräch mit zwei Mitarbeiterinnen der Organisation statt, die sich mit der Verbesserung der Lebensbedingungen der Muslime im westlichen Teil Myanmars an der Grenze zu Bangladesh befassen. Sie sind extrem verfolgt und bedürftig und die noble Umgebung unseres Gesprächs erinnert mich daran, dass es in diesem Lande viele Vorbehalte gegen die vielen Helfer gibt. Ich frage mich, ob diese Vorbehalte gegenüber dem Luxusleben der Helfer irgendwann in Proteste umschlagen werden.
9. - Dienstag
Ich besuche einen Dozenten im Myanmar Institute of Theology (MIT), mit dem ich gerne einen Gespräch über theologische Fragen führen möchte. Anlass ist ein von ihm herausgegebenes Buch zu "kontextueller Theologie" in Myanmar. Ich hatte ihm dazu einen Kommentar geschrieben, auf den er nicht geantwortet hat. Keine Zeit, sagt er. Ich schlage das von mir schon kommentierte Buch auf und erwische zufällig einen von ihm geschriebenen Artikel über eine „Freiheits-Theologie“ aus der Sicht der Kachin, also seiner eigenen ethnischen Gruppe. Hier wie woanders im Buch wird ein direkter Zusammenhang zwischen der politisch-militärischen Lage im Lande und der Berufung auf den christlichen Gott hergestellt, die mir ein wenig kurzschlüssig und vor allem unhistorisch vorkommt. Vor vier Jahren, kurz nach den Wahlen von 2010 wurde ein 1989 geschlossener Waffenstillstand zwischen den Kachin-Rebellen und den Streitkräften (der Tatmadaw) beendet. Seitdem, so Daniels Interpretation, kämpfen alle Kachin für Gerechtigkeit, auch mit Waffen. Und die Pastoren halten Gottesdienste für die Soldaten.
Ich erwähne, dass einem westlichen Christen auf dem Hintergrund des 1. und 2. Weltkriegs jede Art der religiösen Waffensegnung sehr verdächtig ist. Er betont, dass es bei den geistlichen Aktivitäten von Pastoren und Laien nicht um einen Aufruf zum Schießen auf die Feinde, also das Militär des Staates unter buddhistischer Führung gehe, sondern darum, dem Willen Gottes entsprechend zu handeln. Das kann ich mir ganz schwer vorstellen, und unsere Diskussion bricht an diesem Punkte ab.
JANUAR 2016
31. - Sonntag
Besuch in Mawlamyine (Moulmein), einer der ersten Städte des Landes, in denen sich die Briten Anfang des 19. Jahrhunderts niederließen, um das Land zu kolonialisieren. Dabei versuchte ihnen auch ein deutscher Arzt und Naturforscher zu helfen. Der fand den Landstrich paradiesisch und die Menschen friedlich und freundlich, so0lange sie unter britischer Herrschaft standen und nicht von einem königlichen Despoten regiert wurden. Der Traum von einer deutschen Kolonie in Birma zerplatze aber schnell als der Entwicklungshelfer namens Helfer auf den Andamanen-Inseln von einem Pfeil der ganz unfreundlichen Eingeborenen getroffen im Meer ertrank.
30. - Sonnabend
Fahrt durch den Karen-Staat mit der Besichtigung von zwei der vielen dort existierenden kleinen Königreichen. Eins wird von einem heiligen Mann geleitet, der verschiedene religiöse Elemente verbunden hat. Angeblich darf er nie die Erde betreten, da die dann brennen würde. Er fährt in Wagen, die von Ziegen und Hirschen gezogen werden. Die Wagen auf dem Gelände seiner Siedlung sehen klapprig aus, sind aber mit goldenen Attrappen geschmückt. Im Kontrast dazu stehen auf dem Gelände fünf große Limousinen. 5000 Leute gehören angeblich zu der Community ethnischer Karen.- Einige Kilometer weiter ist der Thamanya-Hügel, auf dem ein heiliger Mönch lebte, der 2003 gestorben ist. Er hatte hier ein kleines Reich des Friedens aufgebaut, in dem Menschen unterschiedlicher Ethnizität und Religion miteinander lebten. Auch heute noch werden Gäste dort mit vegetarischem Essen bewirtet. Der Pilger-Tourismus, der für eine kleinen Siedlung am Fuße des Berges die wirtschaftliche Grundlage war, hat aber nach dem Tode des Mönchs stark nachgelassen. Hier wie andernorts hängt Frieden immer noch an der Person von Friedensstiftern. Sind sie tot, endet ihre Wirksamkeit.
29. - Freitag
Unterhaltung mit einem guten Bekannten, der seit Jahren in der Entwicklungsarbeit in Myanmar tätig ist, zuletzt im Bereich der Versuche, in den südlichen Regionen Myanmars den Friedensprozess voran zu bringen. Unser Thema ist schon seit langem, dass die meisten Helfer nicht wissen können, was die Akteure vor Ort bewegt und letztere die Beweggründe der Helfer von außen nichts einschätzen können. Es gibt keine Begegnungen auf Augenhöhe, sondern nur das Nebeneinander von in sich geschlossenen Systemen, zwischen denen ein Geldtransfer stattfindet, der den Charakter einer Einbahnstraße hat. Wir haben das Phänomen einer gut organisierten Nicht-Begegnung.
28. - Donnerstag
Besuch bei Cynthia Maung, einer birmanischen Ärztin aus der Ethnie der Karen, die in Mae Sot seit 1990 eine Klinik für Exilbirmanen und auch für Menschen aus Myanmar unterhält, die sich hier kostenlos behandeln lassen wollen. Sie ist eine politische Ärztin, die mit ihrem Renommee weiter gegen das Militär in ihrem Land kämpft und ein Ende jeglichen Einflusses des Militärs auf die Politik vertritt. Aung Min, der „Friedensminister“ der abgewählten Regierung, so erfahre ich hinterher, hat versucht, sie für die Friedensbemühungen einzuspannen, aber das hat sie höflich abgelehnt. Sie hält sich an Aung San Suu Kyi. Wie dies Vorbild vermeidet sie es, die von der Junta eingeführten Namen „Myanmar“ und „Yangon“ zu verwenden.
27. - Mittwoch
Auf dem Flug nach Bangkok lese ich seit langer Zeit mal wieder thailändische Tageszeitungen. Das Land ist immer noch gespalten, im Großen wie im Kleinen. Im Großen lässt die Militärregierung gerade eine neue Verfassung erarbeiten, die 19. seit Ende der absoluten Monarchie im Jahr 1932. Die wird aber von allen Parteien des Landes, die sich 2017 an den nächste Wahlen beteiligen sollen, abgelehnt. Und ob die Verfassung überhaupt von der Bevölkerung per Referendum akzeptiert wird, ist auch offen. Im Kleinen entwickelt sich gerade eine Kontroverse um Kinderpuppen, die von Mönchen „gesegnet“ worden sind und von Frauen als Glücksbringer ausgeführt werden, auch in Restaurant und sogar ins Flugzeug mit eigener Sitzplatzreservierung. Darüber macht sich die Zeitung, die diese Geschichte veröffentlicht hat, lustig. Der oberste Flugsicherheitsbeauftragte des Landes meint, dass die Puppen die Flugsicherheit gefährden und dass man da neue Richtlinien erarbeiten müsse.
26. - Dienstag
Heute beginnt eine nächste Reise nach Myanmar. Auf dem Flug von Hamburg nach München lese ich in der Süddeutschen eine Kritik der Hamburger Aufführung. Der Rezensent ist anderer Meinung als der Kommentar im Fernsehen. Die Oper gibt, so der Tenor, musikalisch wie vom Inhalt her Einblick in die östlichen Emotionen. Und der Komponist hat über sein Studium in Deutschland die Traditionen seines Landes wie etwa das Go-Theater neu entdeckt. Danach scheint es so, als sei interkulturelle Verständigung etwas für Virtuosen, Kenner und Gourmets. - Ein erste Blick in Thai-Zeitungen, die am Eingang der thailändischen Fluglinie, die mich nach Bangkok bringen soll, zeigt, dass das Land nach wie vor tief gespalten ist. In einigen Tagen soll der Entwurf einer neuen Verfassung veröffentlicht werden. Aber schon jetzt ist klar, dass alle politischen Parteien und Bewegungen dagegen sein werden. Die neue Verfassung – es ist die 19. seit der Abschaffung der absoluten Monarchie im Jahr 1932 – wird unter Aufsicht des Militärs erarbeitet. Die letzte gewählte Ministerpräsidentin wurde per Gerichtsbeschluss abgesetzt, sie wird wegen eines Amtsvergehens angeklagt. Die Zeitung berichtet, dass es unter der jetzigen Regierung einen ähnlichen Vorgang gegeben haben könnte wie der ihr zur Last gelegte. Kurz: Nichts Neues in Thailand, sondern nur eine neue Drehung des politischen Rades, aber immer noch um die alte Achse herum.
25. - Montag
In Hamburgs Oper gab es gestern eine Uraufführung. Der japanisch-amerikanische neue Chef dirigierte „Das Stille Meer“, eine Oper des in Hiroshima geborenen Toshio Hosokawa, die die Reaktorkatastrophe von Fukushima zum Thema hat. Im Bericht im Hamburger Abendmagazin von NDR3 wird erwähnt, dass so eine Oper in Japan nicht aufgeführt werden würde. Dort will man europäische Klassiker sehen. Die deutsche Kritik beurteilt das Werk eher kritisch. Eine dürftige Handlung, wenig Dramatik, eine gewöhnungsbedürftige Musik – kurz: alles sehr fremd und japanisch.
24. - Sonntag
Die Transitzonen sind wieder da, nur haben sie jetzt einen anderen Namen, „Grenzzentren“ etwa oder „Hotspots“. Hier sollen, so ein Vorschlag von Julia Klöckner aus Rheinland-Pfalz, Flüchtlinge an der Grenze „geparkt“ werden, bis sie auf Grund der Ermittlung von „tagesaktuellen Kontingenten“ ins Land gelassen werden – oder eben auch nicht. Ich stelle mir das so vor wie in einem Kundenzentrum der Bahn oder der Behörde, bei der ich einen neuen Pass beantrage. Der Migrant bekommt eine Nummer und wartet so lange, bis er aufgerufen wird. Das Ganze heißt „Plan A2“ - Plan A ist der von Angela Merkel, nach dem die Einwanderung nach Deutschland durch bessere Grenzkontrollen vor allem zwischen der Türkei und Griechenland und durch innereuropäische Solidarität vermindert werden soll. Nun befindet sich Frau Klöckner ja im Wahlkampf, was ihren Plan in die nähe eines PR-Gags rückt. Die SPD wird also schon mal nicht mitmachen.
23. - Sonnabend
Die AfD beginnt ihren Wahlkampf in Sachsen-Anhalt mit einem Parteitag in der Lutherstadt Wittenberg. Sie fordert einen Einreisestopp für Flüchtlinge. Die Obergrenze soll „bei Null“ liegen. Es wird nicht berichtet, dass sich die Partei auf Martin Luther berufen hat, der auch gegen die Türken gewettert hat und sie „als die Feinde der Deutschen und der Christen allgemein“ bezeichnete. Der AfD werden momentan 15% der Stimmen bei den Wahlen zugetraut.
22. - Freitag
In Tunesien wird eine Ausgangssperre verhängt nachdem es landesweite Unruhen war, ausgelöst dadurch, dass ein Arbeitsloser, der auf einen Strommast geklettert war, durch einen Stromschlag getötet wurde. Das erinnert an den Ausbruch des „arabischen Frühlings“, ein Name, der in den Medien nicht mehr auftaucht. Damals hatte eine Selbstverbrennung zu Demonstrationen geführt, die den damaligen Machthaber zum Rücktritt zwangen. Die Wirtschaftslage, Ausgang der damaligen Proteste, hat sich nicht gebessert, der Tourismus liegt nach einem Bombenattentat im Juli 2015 am Boden.
21. -Donnerstag
Es gibt Gespräche mit der türkischen Regierung in Berlin. Das Land soll verhindern, dass Flüchtlinge aus dem Irak und Syrien nach Europa weiterreisen. Die schon versprochenen drei Milliarden Euro werden noch einmal bestätigt, die Türkei möchte nach wie vor mehr Geld haben. Die Gespräche werden allseits als erfolgreich bewertet. - In Rheinland-Pfalz hat die Spitzenkandidatin der CDU, Frau Klöckner, ihre Teilnahme an einer Diskussion der Spitzenpolitiker des Landes im Fernsehen abgesagt. Vorher hatte Ministerpräsidentin Dreyer sich geweigert, an einer Diskussion teilzunehmen, an der auch ein Vertreter der AfD teilnimmt.
20. - Mittwoch
Bundespräsident Gauck hält auf dem Wirtschaftstreffen in Davos eine ausgewogene Rede. Die Begrenzung von Zuwanderung kann gesellschaftlich nötig sein, darf aber nicht rigide gehandhabt werden. Am Abend zeigt sich in Bayern, dass es nicht so einfach ist, hier einen Kompromiss zu finden. Es gibt keine Annäherung zwischen der Kanzler und der CSU in Sachen Obergrenze der Flüchtlingszahlen. Österreich hat eine solche Zahlengrenze gerade beschlossenen. Angela Merkel setzt weiter auf eine europäische Lösung.
19. --Dienstag
Familienministerien Manuela Schwesig will ein Patenschaftsprogramm für Flüchtlinge in die Wege leiten. Mit 10 Millionen Euro sollen 25.000 Paten gewonnen werden. Sprachkurse allein reichen nicht, um Integration zu erreichen. Da hat sie Recht, aber das ist wohl nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein angesichts der Anzahl der allein in diesem Jahr nach Deutschland Gekommenen.
18. - Montag
Keine Nachrichten aus den Pegida-Hochburgen des Landes heute. Dafür steht Wildbad Kreuth im Mittelpunkt. Da plant die CSU einen halben Aufstand gegen die Kanzlerin. Das kann als ein positives Zeichen gewertet werden. Statt Spaltung in der Gesellschaft gibt es jetzt Auseinandersetzungen zwischen den Parteien. - Dann stolpere ich zufällig über eine ganz andere Nachricht: Die anglikanische Kirche kann sich nicht darüber einigen, ob auch homosexuelle Männer Priester werden können. Die Bischöfe von einigen afrikanischen Kirchen stehen vor dem Austritt aus der weltweiten Organisation der Anglikaner.
17. - Sonntag
Seminar über die politische Kultur Myanmars, zweiter Tag. Wir versuchen zu verstehen, was in dem fernen Land „anders“ ist als bei uns. Ich habe das Gefühl, dass die eifrigen Studenten erst einmal eine Art debriefing (vulgo Gehirnwäsche) brauchen, um sich klar zu werden, wie sehr sie von dem gefangen sind, was sie von Kindheit an für selbstverständlich halten. Sie kommen selbst darauf, dass es „dort“ Jahrzehnte brauchen wird, bis sich über Jahrhunderte eingefahrene Haltungen verändern. Nur müsste ein solcher Prozess auch bei uns einsetzen.
16. - Sonnabend
Francois Delattre, der französische UN-Botschafter, spricht in diesem zweiten Syrien-Treffen des Sicherheitsrates allein in dieser Woche von der schlimmsten Tragödie des Jahrhunderts. Zusammen mit Großbritannien hat Frankreich die Sondersitzung erbeten. Die Konfliktparteien, so die bittere Bilanz Delattres, handelten wie im Mittelalter. "Die Menschen sterben, denn Hunger wird wie im Mittelalter als Waffe des Krieges und des Terrors eingesetzt - und keiner kann behaupten, er habe davon nichts gewusst."
15. - Freitag
Die Süddeutsche Zeitung des Tages, die ich im Zug auf der Fahrt von Hamburg nach Bonn lese, bringt auf ihrer Seite 3 eine ausführliche Reportage über die psychischen Folgen der Silvesternacht bei jungen Frauen. Mir scheint das Dramatische an diesen und ähnlichen Berichten, dass sie auf eine Dimension der Migrationswellen nach Europa hinweisen, die mit Statistiken nicht zu messen sind. Der Bericht bemüht sich um einen positiven Schluss. Eine der Beschädigten sagt, dass sie in der Flüchtlingsarbeit tätig sein wird.
14. - Donnerstag
Die Landtagswahlen in mehreren Bundesländern am 13. März werfen ihre Schatten voraus. Umfragen zeigen, dass die beiden großen Parteien verlieren und dass die AfD gute Chancen auf einen Einzug in die Parlamente hat. In Rheinland-Pfalz könnten sechs Parteien im nächsten Landtag vertreten sein. Regierungsbildungen werden schwierig sein. Überall bieten sich Große Koalitionen an mit dem Risiko, dass der Zulauf zu den Protestparteien noch gestärkt wird.
13. - Mittwoch
Heute wie an anderen Tagen wird das Zauberwort „Integration“ als Heilmittel gegen die Gefahren einer überhand nehmenden Migration nach Deutschland angesehen. Besonders häufig betont das Simone Peter von den Grünen. Die Neubürgerinnen und Neubürger müssten mit Hilfe von Sprachkursen und Hilfestellungen bei der Jobsuche so schnell wie möglich in unserer Gesellschaft integriert werden, wird sie zitiert.
12. - Dienstag
Unsere Tochter fliegt an diesem Morgen mit einer Gruppe anderer Studenten nach Istanbul, um dort etwas über die Stadtkultur zu ermitteln. Um 11 Uhr höre ich in den Nachrichten, dass es im Zentrum der Stadt einen Bombenanschlag mit Toten gegeben hat. Da konnte sie noch nicht am Ort des Attentats sein. Trotzdem bin ich erschrocken. Was wäre wenn... Und was nun? Das – volljährige – Kind zu unserer Beruhigung zurückrufen? Oder davon ausgehen, dass nicht sicherer ist als eine Stadt, in der gerade ein Anschlag passiert ist? - Am Abend höre ich die Worte der Bundeskanzlerin, mit der sie den Betroffenen ihre Anteilnahme ausspricht. Ich überlege, wie ich reagieren würde, wenn unsere Tochter zu Schaden gekommen wäre. Ich fürchte, ich würde wütend, weil die Kanzlerin die Zusammenhänge überdeckt, die zwischen dem Terror und ihrer eigenen Politik bestehen. Ihr Satz „die Terroristen sind Feinde aller Menschlichkeit“ schließt die Gemeinten aus der menschlichen Gemeinschaft aus. Der Himmel wird einmal wieder geteilt. Es scheint unmöglich, ihn mit menschlichen Kräften zusammen zu halten.
11. - Montag
Pegida in Dresden findet heute nicht statt, dafür ist der Leipziger Ableger Legida stärker besucht als sonst. ca. 3.000 Demonstranten protestieren, etwa genau so viele bilden eine Lichterkette und werben damit für Toleranz. Gleichzeitig zertrümmern 200-250 Fußball-Hooligans, die in einem Stadtteil, der als eine Hochburg der linken Szene gilt, großem Ausmaß Schaufenster und griffen Polizisten an. - Die Polarisierung von Rechten und Linken, die in der Politik auch ohne große Koalitionen überwunden scheint, feiert traurige Urständ. Das ist zweifellos ein Randphänomen, aber eins, das zu einer weiteren Überforderung der Ordnungskräfte beiträgt. Und wenn schnell eine große Anzahl von Polizisten eingestellt werden sollte, wird ein stark aufgerüsteter Rechtsstaat bald neue Probleme mit sich bringe
10. - Sonntag
Es gibt eine ganze Serie von höchst ungemütlichen Nachrichten: Der polnische Außenminister bittet den deutschen Botschafter um ein Gespräch, um gegen die Einmischung deutscher Politiker in die Innenpolitik des Landes zu protestieren. EU-Parlamentspräsident Schulz verglich die Politik der neuen polnischer Regierung mit der „gelenkten Demokratie“ Putins in Russland. - In Deutschland wird die Sorge geäußert, das Vertrauen in den Rechtsstaat sei gefährdet, wenn sich so etwas wie die „Nacht in Köln“ wiederhole. Die Anzahl der Anzeigen nach den Vorfällen von Silvester ist in Köln auf 516 und in Hamburg auf 137 gestiegen. In Köln wird in 20 Fällen konkret ermittelt. - In Paris ist ein Mann erschossen worden, der mit dem Ruf „Allah ist groß“ mit einem Beil auf zwei Polizisten losgegangen ist. Er hatte vorher in einem Asylantenheim in Recklinghausen gewohnt und war der Polizei wegen kleiner Delikte bekannt. Er hatte sieben verschiedene Identitäten aus verschiedenen Ländern. Die „wahre“ ist nicht bekannt. - Ich warte im Fernsehen auf einen Bericht über die Diskussionen in den Nachrichtenredaktionen über die Art der Auswahl und der Präsentation der Nachrichten.
9. - Sonnabend
Eine neue Forderung macht die Runde. Wir brauchen mehr Polizisten, damit sich die „Schande von Köln“, in denen ein „Sex-Mob“ wüten kann - so beschreibt die BILD-Zeitung die Ereignisse - nicht wiederholen. Die CDU hat auf einer Klausurtagung zudem eine Abschiebung von Ausländern beschlossen, auch wenn die nur eine Bewährungsstrafe erhielten. Und bei Vergewaltigung soll in Zukunft auch schärfer durchgegriffen werden. - Ich erhalte einen Brief einer Verwandten, in dm ich höre, was in ihrer Umgebung alles für Flüchtlinge getan wird. Das tut gut, ich könnte sonst auf die Idee kommen, die „Willkommenskultur“ sei tot. Das Wort kann allerdings meinetwegen gerne aus dem öffentlichen Wortschatz verschwinden, die Sache besser nicht.
8. - Freitag
In den Medien wird diskutiert, ob die Kanzlerin ihre Haltung in der Flüchtlingspolitik ändern werde. Sie bezeichnete die Ereignisse von Köln als „Paukenschlag“, wird berichtet. Und die Stimmung an der Basis der CDU sei „unterirdisch“, wird ein mittelprominenter Funktionär zitiert. Wenn der Zustrom an Flüchtlingen so bleibe wie bisher, werde Integration nicht gelingen.
7. - Donnerstag
Die Flüchtlingspolitik spaltet die Republik, meint der ZDF-Moderator am späteren Abend nach einem längeren Interview mit dem bayrischen Ministerpräsidenten, der ihm geduldig zu erklären versucht, dass es doch ganz normal ist, wenn das Bundesland mit den längsten Grenze nach Süden Obergrenzen für den Zustrom von Migranten verlangt. Der Moderator stellt Fragen wie „Wenn bei einer Grenze von 200.000 Migranten der 200.001erste an die Grenze kommt, was dann?
6. - Mittwoch
Ich bin in Bad Honnef am Rhein, um einen jungen Geologen auf seine Tätigkeit in Myanmar vorzubereiten. Thema des ersten Tages: Spaltung und Diversität mit ihren in diesem Land überwiegend betrüblichen Folgen.
5. - Dienstag
Die Nachrichten von den Vorgängen in Köln werden durch solche aus Hamburg ergänzt. Auch da werden jetzt die Anzeigen wegen sexueller Belästigung und Diebstahl gezählt. Auch hier waren dunkle Ausländer am Werk. Die Serie der Meldungen könnte neue Probleme: Wie berichtet man ebenso offen wie behutsam über die Geschehnisse und wie berücksichtigt man da auch die vielen Plätze, an denen der Jahreswechsel ganz ungestört verlief?
4. - Montag
In Dresden beginnen die Demonstrationen wieder. Trotz Meldungen über massenhafte sexuelle Übergriffe von „Nordafrikanern“ auf Frauen in Köln in der Silvesternacht werden nicht mehr 3.500-4.000 Demonstranten gezählt, deutlich weniger als vor Weihnachten. Auch an der schon traditionellen Gegendemonstration nehmen nur weniger Personen teil als früher. Das alles könnte auch am kalten Wetter liegen.
3. - Sonntag
Die Bruchlinien in der islamischen Welt haben diplomatische Konsequenzen. Saudi-Arabien bricht die Beziehung zum Iran ab. Der Anlass ist der Tod des einen schiitischen Geistlichen, nicht etwa die Praxis der Todesstrafe. In Sachen Rechtsstaatlichkeit sind die Ayatollahs im Iran eher noch radikaler als die saudischen Führer – man denke an die Fatwah gegen Salman Rushdie.
2. - Sonnabend
In Saudi-Arabien sind heute 47 Menschen hingerichtet worden, darunter ein bekannter schiitischer Prediger. Im Iran und anderen Ländern hat es daraufhin gewaltsame Proteste gegen das Land mit seiner sunnitischen Führung gegeben, das die heiligen Stätten von Mekka und Medina beherbergt. In Deutschland wurde der Vergleich gezogen, dass das saudische Regime sich nicht von den Praktiken des ebenfalls sunnitischen IS unterscheide. - Der Vorfall weist einmal wieder auf einen der folgenreichsten Spaltungen der Weltgeschichte hin, die auf das 7. Jahrhundert zurückgeht, in dem der Islam das Licht der Welt erblickte. Die zerstörerischen Energien, die damals um die Nachfolge Mohammeds frei wurden, sind heute noch genauso tödlich lebendig wie vor über 1000 Jahren. Angesichts dieser Phänomens ist es erstaunlich wie wenig Beachtung das auf der Hand liegende Projekt erhält, einen intrareligiösen Dialog zwischen Sunniten und Schiiten zustande zu bringen. Der geteilte islamische Himmel hat die blutige Nachfolge der innerchristlichen Religionskriege angetreten. Hier herrscht zwar auch immer noch kein Friede, aber nach den schlimmen Erfahrungen der Geschichte ein gewisses Maß an Einsicht. Wahrscheinlich braucht die islamische Welt noch etwas Zeit.
Die Himmel über unserem Globus sind vielfach geteilt. Diese Teilung, die sich im konkreten Terror und den gegen sie ergriffenen Maßnahmen manifestiert, ist ein ambivalentes Phänomen. Sie provoziert den Wunsch nach Zusammenhalt und zugleich den nach Ausgrenzung. Die Folge ist eine hochkomplexe Lage, eine neue Unübersichtlichkeit, die schon gedanklich nur schwer auf den Begriff zu kriegen ist.
1. - Freitag
In München hat es gestern Nacht einen Terror-Alarm mit Folgen gegeben. Auf Grund von Hinweisen auf geplante Anschläge wurden zwei Bahnhöfe gesperrt. Die Menschen wurden aufgerufen, größere Versammlungen zu meiden. Es wurde mitgeteilt, dass man die Namen von einigen potenziellen Attentätern kenne, aber dass nicht bestätigt sei, ob es sie wirklich gäbe und wenn ja, ob sie in Deutschland seien. Weiter wird berichtet, dass sich die Münchner von diesen Meldungen nicht weiter haben beeindrucken lassen. Dasselbe gilt für die vielen anderen Silvesterfeiern in Deutschland.
Kurze Zwischenbilanz am Jahresanfang
Die Himmel über unserem Globus sind vielfach geteilt. Diese Teilung, die sich im konkreten Terror und den gegen sie ergriffenen Maßnahmen manifestiert, ist ein ambivalentes Phänomen. Sie provoziert den Wunsch nach Zusammenhalt und zugleich den nach Ausgrenzung. Die Folge ist eine hochkomplexe Lage, eine neue Unübersichtlichkeit, die schon gedanklich nur schwer auf den Begriff zu kriegen ist.
DEZEMBER 2015
31. Dezember 2015, Donnerstag
Von all dem ist in der Neujahrsansprache der Bundeskanzlerin nicht die Rede. Nun ja, es ist eine Rede für uns Deutsche, nicht für Polen, Ungarn und Belgier. Am Schluss der Ansprache wiederholt sie ihr persönliches Wort des Jahres „Wir schaffen das“ und lächelt dabei schelmisch. Schaun wir mal, könnte da der Kaiser sagen.
30. - Mittwoch
Die weihnachtliche Versöhnlichkeit ist auch in der Politik vorbei. Die CSU legt in Sachen Flüchtlingspolitik einen drauf. Wer ohne gültigen Pass ins Land kommt, soll nicht reingelassen werden. Gültige Dokumente könne man auch woanders bekommen als in Deutschland. In Polen wird nun auch ein Gesetz beschlossen, das Rundfunk und Fernsehen unter Regierungskontrolle bringt. Das Land nähert sich Ungarn an, an das sich aber auch die EU mittlerweile gewöhnt hat. In Brüssel und Paris wird das Neue Jahr ohne Großveranstaltungen mit Feuerwerk stattfinden.
29. - Dienstag
Eine junge Türkin, in Deutschland geboren, sucht Rat. Das Ausgangsproblem: Sie wird in in ihrem Betrieb gemobbt. Der Hintergrund: Vor vier Jahren wurde sie schwanger. Der Vater des Kindes wollte sie nicht heiraten. Ihre Chefin hat ihr zu einer Abtreibung geraten. Jetzt wissen das alle im Betrieb. Schlimmer: Sie hat seit vier Jahren den Traum, dass ihr ein Kind aus dem Arm fällt . Das Kind hat sie zuerst als Geschenk Allahs empfunden. Mittlerweile hat einer ihrer Freunde die Sache auch einer Schwester erzählt, jetzt wissen es auch alle Frauen der Familie. Nur der Vater nicht. Der würde sie und den Vater des Kindes erschießen, wenn er es wüsste, hat die Mutter gesagt. - Eine ziemlich hoffnungslose Geschichte, so der erste Eindruck. In die Öffentlichkeit wird so eine Story erst kommen, wenn „etwas passiert“, Mord oder Selbstmord oder eine Schlägerei. Hier ist aber schon lange eine Art sozialer Tod eingetreten. - Im Blick auf unsere deutsche Wertediskussion ergibt sich die Frage, wievielte solcher stillen Tragödien mit den Flüchtlingen gerade einreisen und wie man mit denen umgehen kann.
28. - Montag
Die Integrationsverpflichtungserklärung ist wieder da. Die CSU schließt sich der großen Schwesterpartei an. Migranten sollen zu Deutschkursen und einem Bekenntnis zu den Grundwerten unseres Staates verpflichtet werden. Sonst drohen Kürzungen der Leistungen. Wahnsinn, findet die Opposition, bedenklich meint die SPD. Die Frage, wie Wertevermittlung überhaupt möglich ist, kommt dabei nur am Rande vor. Sie müssen vorgelebt werden, meint Frau Göring-Eckart. Richtig, aber das lässt sich nicht organisieren. So flüchtet man sich auch bei den Kritikern in de Forderung nach mehr Geld für Deutschkurse und andere Integrationsmaßnahmen – etwa um die freien Lehrstellen in vielen Handwerksbetrieben mit jungen Flüchtlingen zu besetzen. Das sieht nach Werte-Materialismus aus.
27. - Sonntag
Die irakische Armee meldet einen Sieg. Ramadi, die strategisch wichtige Hauptstadt einer Provinz des Landes, ist jetzt wieder ganz unter der Kontrolle der Regierungstruppen. Die Kämpfer des IS haben jetzt auch das Gebäude der Provinzverwaltung geräumt. Harte Arbeit war das, die internationale Unterstützung aus der Luft hat geholfen. Der IS ist geschwächt, er hat in diesem Jahr 14% seines Territoriums verloren. Das sind die nüchternen Reaktionen. Die irakische Armee feiert und der Ministerpräsident kündigt an, dass der IS innerhalb eines Jahres aus dem Land vertrieben sein wird. - Der selbsternannte Kalif des „Staates“ droht mit weiteren Anschlägen.
26. -, 2. Weihnachtstag
Die versöhnliche weihnachtliche Stimmung lässt nach, die Rhetorik der deutschen Politiker wird wieder rauer. Außenminister Steinmeier spricht von „geistigen Brandstiftern „ Finanzminister Schäuble von „Dumpfbacken“. Schwer vorstellbar, dass der Bundespräsident dieses Art von Streitkultur gemeint haben könnte.
25. - 1. Weihnachtstag
Bundespräsident Gauck hält eine ausgewogene Ansprache zum Weihnachtsfest, lobt die Helfer, verteidigt den demokratisch ausgetragenen Streit um den Umgang mit den Flüchtlingen, grenzt die Hassprediger und Gewalttäter aus und gibt eine kurze Auslegung der weihnachtlichen Engelsbotschaft „Fürchtet Euch nicht“. Das ist, wie am Vorabend in der Kirche sehr pastoral.
24. - Heiligabend
Der Gottesdienst beginnt mit einem Orgelvorspiel, gefolgt von zwei Weihnachtswitzen. Dann kommt das Hauptthema zur Sprache, wie zu erwarten: die Flüchtlinge. Jesus und seine Familie waren die Vorläufer dessen, was heute passiert. Das sollte uns anrühren. Das ist eine wohltuend milde und freundliche Auslegung. Nicht eingegangen wird auf den Nebensatz der Weihnachtsgeschichte, die mir heute besonders auffällt – die Geschichte geschah zu der Zeit als „Quirinius Landpfleger in Syrien war“. Was hat sich geändert seit den Zeiten des Römischen Reiches im Nahen Osten. De skeptische Antwort: Das Flüchtlingselend ist explodiert. Die freundliche: Das Mitgefühl auch.
23. - Mittwoch
Die MitarbeiterInnen der Semperoper in Dresden haben einen offenen Brief geschrieben. Auf dem Platz vor der Oper finden montags die Pegida-Demonstrationen statt. „Viele von uns fühlen sich durch die Versammlungen von Pegida auf dem Theaterplatz unwillkommen und ausgegrenzt, werden beleidigt und bedroht. Wir fühlen uns dabei nicht nur unwohl, sondern vor allem nicht mehr sicher.“ Der Ministerpräsident des Freistaates Sachsens antwortet. Er nennt die Lage „beklemmend“, weist aber auch auf das „hohe Gut“ der Versammlungsfreiheit hin.
22. - Dienstag
In Polen hat die konservative Regierung ihre Mehrheit genutzt, die Arbeit des obersten Gerichtes grundlegend zu verändern. Die Opposition spricht von einem „Staatsstreich“. In Slowenien hat vor einigen Tagen eine Volksabstimmung die vom Parlament beschlossene Gleichstellung von Homo-Ehen mit großer Mehrheit bei einer geringen Wahlbesteigung gekippt. Europa ist nach wie vor geteilt, und zwar ziemlich genau an den Grenzen der früheren Grenzen zwischen dem demokratischen und dem sozialistischen Europa.
21. - Montag
Pegida veranstaltet in Dresden seine letzte Kundgebung. Etwa 7.000 Menschen kommen, ungefähr die Hälfte nehmen an einer Gegendemonstration teil. Der Polizei gelingt es, die Gruppierungen auseinander zu halten. Die islamfeindliche Gruppe singt wieder Weihnachtslieder. Die Kirchen werden wegen ihrer Flüchtlingspolitik kritisiert. Den größten Zulauf an diesem Abend hat aber der Dresdner Kreuzchor, der zum gemeinsamen Weihnachtsliedersingen ins Fußballstadion eingeladen hatte. Rund 12.500 Dresden kamen.
20. - Sonntag
Vor 25 Jahren trat das erste gesamtdeutsche Parlament zusammen. Der geteilte Himmel über Deutschland wurde damit zusammengegekittet, nicht nahtlos zusammengefügt, wie wir heute wissen. Und möglicherweise trug die auf die nachdenkliche erste Sitzung eintretende Euphorie angesichts des Siegeszugs der Demokratien und europäischen Vereinigungsbestrebungen maßgeblich zu den Problemen bei, die wir heute haben. Mehr als kitten lassen sich die mannigfachen Spaltungen auf der Erde offenbar nicht.
19. - Sonnabend
Frage an zwei Vertreter der jungen Generation : Was ist in ihrem Bekanntenkreis die Meinung zur aktuellen Flüchtlingssituation? Antwort: Flüchtlinge rein, Nazis raus. Nachfrage: Und wohin mit den Nazis? Auf den Mond schießen. - Auf der Erde droht Außenminister Steinmeier den EU-Staaten, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, mit juristischen Schritten, während der österreichische Regierungschef den bockigen Osteuropäern Finanzmittel kürzen will.
18. - Freitag
Der EU-Gipfel konnte sich nicht über die Flüchtlingspolitik einigen. Frau Merkel meint dazu, dass man nicht erwarten könne, dass ein so schwieriges Problem in kurzer Zeit gelöst werden könnte.
17. - Donnerstag
Vor einem erneuten EU-Gipfel zur Flüchtlingskrise warnt Martin Schulz, der Präsident des Europaparlaments, vor einem Zerfall Europas. Das tun seit langem viele, aber zumindest die Europäische Gemeinschaft mit ihren vielen Institutionen gibt es immer noch. Was aber längst zerfallen ist, ist die Europäische Union als eine Wertegemeinschaft. Die aber wird nicht nur von dem wortmächtigen – oder Maul-Helden – Schulz immer wieder beschworen. Er findet es „schändlich“, dass einige Mitglieder viel geben und andere sich verweigern. Damit vertieft er die befürchtete Spaltung. Wer wird in einer politischen Arena eingestehen, dass er „schändlich“ handelt? Ich denke, dass es für meine These, dass die westliche Politik mittlerweile weitgehend dem Nachbeten eines säkularen Katechismus ähnelt, täglich neue Belege gibt – aber natürlich keine Beweise. Glaubenssätze lassen sich nicht widerlegen und Politiker konvertieren nur selten.
16. - Mittwoch
Der Sacharow Preis wird an die Frau des saudi-arabischen Bloggers Raif Badawi verliehen, der in seinem Geburtsland im Gefängnis sitzt und auf weitere 950 Peitschenhiebe wartet. Insgesamt hatte ein Gericht 1000 zusätzlich zu einer 10jährigen Freiheitsstrafe wegen Beleidigung des Islam für angemessen erhalten. Die ersten 50 hat er schon bekommen, dann wurde aus gesundheitlichen Gründen abgebrochen. Frau Badawi ist aus ihrem Exil in Kanada angereist und tritt elegant gestylt vors Mikrofon und repräsentiert damit optisch den kaum überbrückbaren Graben zwischen der Welt der Preisverleiher und das System denen, das der Geehrte kritisch beleuchtet hat.
15. - Dienstag
Für die Vorbereitung einer Weihnachtsfeier drucke ich den Teil der Sure 19 des Koran aus, die die Geburtsgeschichte Isas erzählt. Der letzte Satz lautet weist darauf hin, dass die Menschen an seinem Wort, das die Wahrheit Allahs repräsentiert, zweifeln. Ein Lob des notwendigen Zweifels an den begrenzten Möglichkeiten menschlicher Weisheit ist auch das leider nicht.
14. - Montag
Anders als die SPD steht die Christliche Partei zu ihrer Führung. Das Flüchtlingskonzept wird fast einstimmig verabschiedet – auch wenn es das von vielen und vor allem von der CSU geforderte O-Wort (Obergrenze) nicht enthält. Frau Merkel betont noch einmal das „Wir“, die „das“ schaffen können. Es bleibt unklar, wer zu diesem „Wir“ gehören soll. Wir Deutsche, die schon ganz andere Dinge geschafft haben in unserer Geschichte. Dann meint sie vielleicht doch besser nur ihre Partei.
13. - Sonntag
Frankreich atmet laut SPIEGEL Online auf: Der Front National hat in keiner der Regionen in Frankreich im zweiten Wahlgang die Mehrheit der Stimmen erhalten, allerdings insgesamt mehr Stimmen als je zuvor. Die Konservativen des Ex-Präsidenten sind die Gewinner, nachdem die Sozialisten in einigen Regionen ihre Kandidaten zurückgezogen haben. Und Sarkozy steht in seiner seiner anti-Islam Rhetorik kaum hinter Marie Le Pen zurück.
12. - Sonnabend
Der SPD-Parteitag geht zu Ende. Parteichef Gabriel ist mit einem miesen Wahlergebnis für seinen Schmusekurs mit der Kanzlerin abgestraft worden. Der Präsident der des EU-Parlaments, Martin Schulz, haut auf die Pauke. Angesichts des Erstarkens rechtspopulistischer Kräfte warnt er vor einem Zerfall Europas und stellt fest, dass die „Feinde der Demokratie in der Demokratie keinen Platz haben“. Aber wohin dann mit ihnen? Vielleicht nach Syrien zum Einsatz gegen den Islamischen Staat?
11. - Freitag
Das „Wort des Jahres“ heißt „Flüchtlinge“, gibt die Gesellschaft für deutsche Sprache bekannt und nennt als Begründung ein linguistisches Detail: Das -ling am Wortende signalisiert etwas Abschätziges wie in „Eindringling“, „Schreiberling“ und – meine Ergänzung - „Engerling“. Politisch korrekt sollte man von “Geflüchteten“ sprechen. Aber das gewählte Wort zusammen mit der Begründung ist ein schönes Beispiel für die Ambivalenzen unter dem geteilten Himmel.
10. - Donnerstag
Gestern hat das Time-Magazin Angela Merkel zur „Person des Jahres“ erklärt, gefolgt von dem IS-Führer Al-Baghdadi und dem republikanischen Präsidentschaftsbewerber Donald Trump, der keine Muslime mehr ins Land lassen will Qualitativ ist das ein Sieg der guten Integration, quantitative eher des spalterischen Bösen, insgesamt also ausgewogen. Heute nun wird in Oslo der Friedensnobelpreis an vier Vereinigungen in Tunesien vergeben, dem einzigen Land des Arabischen Frühling, in dem sich die Hoffnungen auf eine demokratische Wende halbwegs erfüllt haben. Bei der Wahl zu einem Unfriedenspreis wären die beiden Zweitplatzierten der Tim
9. - Mittwoch
Im Münchner Prozess gegen Beate Tschäpe und einige andere Angeklagte, die der Mitgliedschaft im „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) und der Beteiligung an 10 Morden an Ausländern und einer Polizistin beschuldigt werden, hat die Hauptangeklagte durch einen ihrer Verteidiger zum ersten Mal eine Erklärung abgeben lassen. Danach war sie an den Taten nicht beteiligt, hat dem NSU nicht angehört, fühlt sich aber moralisch mitschuldig und bittet die Opfer und ihre Angehörigen um Entschuldigung. Die Angehörigen und Anwälte, die sie als Nebenkläger vertreten, sind empört. Damit ist ziemlich ausgeschlossen, dass der Prozess eines seiner Ziele erreicht, nämlich den Angehörigen bei der Bewältigung der Ermordung ihrer Angehörigen zu helfen, in weite Ferne gerückt ist. Sie werden jetzt auf ein hartes Urteil warten, das dann in dem Verdacht stehen wird, der öffentlichen Vorverurteilung der Angeklagten gerecht werden zu müssen. Fazit: Prozesse dieser Art in unserem fortschrittlichen Rechtssystem haben eher keine reinigende Funktion. Alle Beteiligten sind Teil einer großen Inszenierung, die eine Begegnung von Mensch zu Mensch kaum möglich macht. - Als Kontrast zu den Ereignissen in München sehen wir einen Bericht über die ehemalige Insassin des KZ Auschwitz, die einem der letzten Angeklagten bei seinem Prozess in Lüneburg die Hand gab – fast 70 Jahre nach Ende des damals Geschehenen.
8. -Dienstag
Zeitgleich mit dem Besuch der deutschen Verteidigungsministerin in Afghanistan greifen Taliban-Einheiten einen Flugplatz in Kandahar an. Das unterstreicht die Notwendigkeit der weiteren Präsenz westlicher Streitkräfte in dem Land. Gleichzeitig sollen afghanische Flüchtlinge in ihre Heimat zurückgeschickt werden. Besonders junge Leute verlassen in ganze Busladungen das Land, was der Präsident sehr bedauert. Die Ministerien mahnt einen Dialog der Versöhnung mit den Taliban an. In dieser Art von Argumentation ist die Quadratur des Kreises eine logische Möglichkeit. Die deutsche Politik gegenüber Afghanistan wie anderen Ländern der Region basiert auf Wunschdenken.
7. - Montag
In Venezuela hat die Opposition die Wahlen gewinne, 16 Jahre sozialistischer Herrschaft gehen zu Ende. Der Nachfolger von Hugo Chavez, des 2013 verstorbenen Erfinders von „Venezuelas Weg zum Sozialismus“, hat versprochen, das Ergebnis anzuerkennen. Er ist noch bis 2019 im Amt. Seine Gegner haben aber angekündigt, seine Absetzung zu betreiben. Die Lage ist ähnlich wie in Myanmar, wo die Partei Aung San Suu Kyis am 8. November einen noch größeren Triumph über die bisherige Regierung erzielt hat. In beiden Fällen sind die Wahlsiege vor allem ein Misstrauensvotum gegen die alte Regierung, verbunden mit der Hoffnung auf einen völligen Neuanfang. Der kann aber erfahrungsgemäß nur klappen, wenn es eine Verständigung zwischen den sich gegenüber stehenden Blöcken gibt. „Kohabitation“ wäre angesagt, die Kooperation unterschiedlicher Lager zum Wohl des ganzen Staates.
6. - Sonntag
SPD-Chef Gabriel hat den Export der saudi-arabische Form des Islam, den Wahhabismus, in für die steigende Terrorgefahr verantwortlich gemacht. Der Bau wahabitischer Moscheen würde Terroristen anlocken. Zudem liefere der Wahabismus dem IS seine Ideologie. Auch SPD-Fraktionschef Oppermann warnt. Die Mehrheit der Kommentatoren (nach gut drei Stunden und 50 Beiträgen wird die Funktion beendet) findet das richtig. Tendenz: „Endlich kommen die da oben zur Einsicht. Moscheen gehören geschlossen“. Eine kleine Minderheit erinnert an deutsche Waffenlieferungen. Die saudische Botschaft erinnert daran, dass Saudi-Arabien der anti-IS-Koalition angehört. Auch diese Koalition ist also geteilt. - Die Wahlbeteiligung an Frankreichs Regionalwahlen ist höher als für fünf Jahren etwas höher. Die Front National von Marie Le Pen erhält mit 28% die meisten Stimmen, es folgen die Republikaner des ex-Präsidenten Sarkozy mit 28% vor den abgeschlagenen Sozialisten des amtieren Präsidenten Hollande mit 23%. Die erste Runde in der Abstimmung über die besten Rezepte gegen den Terror nach den Attentaten vom 13.11. ist an die fremdenfeindliche Rechte gegangen.
5. - Sonnabend
Die Fregatte „Augsburg“ läuft aus, um den französischen Flugzeugträger Charles de Gaulle zu schützen. Im 1. Weltkrieg gab es schon mal ein Kriegsschiff mit diesem Namen. Das überstand den Krieg trotz des Auflaufens auf eine Mine (8 Tote) und einer Beinahe-Havarie unbeschadet und wurde 1918 außer Dienst gestellt. Die heutige Augsburg hat schon Syrien-Erfahrung. 2014 schützte sie ein US-Schiff, dass die von der syrischen Regierung freigegebenen Chemiewaffen vernichtete. Danach blieb sie im Mittelmeer, um Flüchtlingsschleuser zu behindern. Spitzname der Fregatte ist „Die Wilde 13“ - benannt nach der Piratenbande aus den Büchern von Michael Ende, in denen der dunkelhäutige Jim Knopf eine prominente Rolle spielt. Die Augsburger Puppenkiste ist das Bindeglied zwischen Bösewichtern und ihren Bekämpfern. Das klingt nach einer Versöhnung der Gegensätze im Märchenreich.
4.- Freitag
In der New York Times lese ich einen Artikel über einen Mini-IS-Staat in Libyen in und um die Stadt Surt (Sirte) in der Mitte des Landes herum. Etwa 240 km der Küste des Landes stehen unter Kontrolle dieses „Staates“, der sich hier im Februar dieses Jahres gegründet hat, so der Bericht. Falls die Angriffe gegen die IS in ihrem „Kernland“ weitere Erfolge haben, gibt es hier ein Rückzugsgebiet wie auch schon auf der Sinaihalbinsel und in anderen Teilen Afrikas. Ich erinnere mich, dass die Destabilisierung Libyens mit den Angriffen der NATO im Zuge des Arabischen Frühlings begonnen hat, um den Kampf gegen den Autokraten Gaddafi zu unterstützen. Der wiederum hatte einen anderen Himmelkrieg begonnen, indem er zumindest duldete, dass sein Geheimdienst im Jahr 1988 eine Boeing 747 über der schottischen Stadt Lockerbie explodieren ließen. Dabei kamen in der Luft und am Boden 260 Menschen um. 2002 zahlte das Land 2,46 Milliarden US$ an Entschädigungen, was zu einer zeitweisen Annäherung zwischen Libyen und der westlichen Welt führte. Die Luftschläge von 2011 hatten dann die chaotischen Stände in Libyen von heute zur Folge und öffneten den Weg für die Massenflucht von Afrikanern über das Mittelmeer nach Europa. Da ist es gut zu wissen, dass Syrien und der Irak schon vor dem jetzigen militärischen Einsatz durch den Westen destabilisiert wurden. Schlimmer kann es kaum noch werden.
Ein nachdenklicher Kommentator im Rundfunk meint, ihm würde durch den heute im Bundestag „abgesegneten“ Beschluss der Entsendung von Soldaten in den Anti-Terror-Krieg das Weihnachtsfest vermiest. Mein Kommentar: Im Blick auf die Vergangenheit sollten wir uns vielleicht nicht nur Nach-, sondern auch Vor(wärts)denker gönnen.
3. - Donnerstag
EU-Ratspräsident Donald Tusk aus Polen fordert eine Kehrtwende in der Flüchtlingspolitik der Europäischen Union. Er wird mit den Worten zitiert, dass niemand bereit sei, die hohe Menge an Flüchtlingen aufzunehmen, Deutschland eingeschlossen. Das ist eine deutlicher Kritik an der Bundeskanzlerin, Derzeit sei es "zu einfach" für die Flüchtlinge, in die EU zu gelangen. "Bitte spielen Sie die Rolle der Sicherheit nicht herunter", sagte Tusk. "Wenn man Einwanderer und Flüchtlinge überprüfen will, braucht man mehr als nur eine Minute für Fingerabdrücke.“ Die Ängste der Bürger sind in der Spitze der EU angekommen. Zugleich reicht nun auch Polen nach der Slowakei gegen den von der EU festgelegten Schlüssel für die Verteilung von 120.000 Flüchtlingen in Europa. Danach ist die Slowakei verpflichtet, 820 Flüchtlinge aufzunehmen. Polen hatte bei der Abstimmung über die Quoten noch dafür gestimmt, vier andere osteuropäische Länder dagegen.
2. - Mittwoch
Am Abend diskutiere ich mit dem Autor einer anderen Biographie Aung San Suu Kyis über die Zukunft Myanmars nach dem überwältigenden Wahlsieg ihrer Partei. Wir sind uns einig, was die Größe der Aufgabe angeht, die vor ihr liegt, nicht aber darüber, ob die Spaltung des Landes überwunden werden kann. Dazu wäre es meiner Ansicht nach nötig, das Militär mit einzubinden, und zwar bis auf Weiteres auch als eine politische Kraft. Da der Wahlsieg aber vor allem ein Misstrauensvotum gegen das Militär war, ist das eher unwahrscheinlich. Immerhin: Es haben Gespräche zwischen beiden Seiten stattgefunden. Der politische Himmel Myanmars ist immer noch geteilt, aber noch nicht wieder gespalten.
1. -Dienstag
Das Kabinett hat den Einsatz von Aufklärungsflugzeugen und einer Fregatte der Bundeswehr für den Kampf gegen den IS beschlossen. Der Bundestag muss den Beschluss noch „absegnen“, so der Nachrichtensprecher in der Tagesschau. Meine Frau regt die Verwendung des Wortes jedes mal auf. Der Segen gehört in die Sphäre des Heiligen, seine weltliche Verwendung signalisiert eine Überhöhung menschlichen Handelns in eine transzendentale Sphäre. Im Zusammenhang mit einem Militäreinsatz wird es dann gruselig: Der Einsatz von Waffen wird gesegnet und damit heilig gesprochen.
NOVEMER 2015
30. - Montag
Zur wöchentlichen Pegida-Demo in Dresden kommen nur noch etwa 4.500 Leute, 500 weniger als vor einer Woche und auch da waren schon weniger Leute gekommen als in der Vorwoche. Die Tendenz ist rückläufig, was die Zahlen angeht - Ich schreibe einen Leserbrief an den Verfasser eines der Artikel in der ZEIT, die ich im Flugzeug zurück nach Deutschland gelesen habe. Unter Berufung auf meine Forschungen zu Myanmar meine ich, der kulturell-religiösen Hintergrund des religiösen Extremismus, den es ja auch in Myanmar gibt, müsste mehr erforscht werden. Sonst bleibt man in rein rationalen Erklärungen stecken, die den Leser befriedigen mögen, aber der Sache nicht gerecht werden. [Nachtrag: Es gab auf diese Meinungsäußerung keine Antwort. Das passiert mir nicht zum ersten Mal. Es gibt auch eine klare Trennung zwischen den Schreibern und ihren Lesern. Ich hätte an die Leserbriefredaktion schreiben sollen. Dann hätte ich vielleicht eine Antwort bekommen, aber der Redakteur nicht meinen Text.]
29. - Sonntag
Meine Hamburger Mitbürger haben der Bewerbung für die Olympischen Spiele eine knappe Absage erteilt. Neben der Sorge um die Finanzen der Stadt spielte dabei wohl auch der Terror eine Rolle. Ein Kommentator meint, solche Großveranstaltungen würden alsbald kaum noch in demokratischen Staaten stattfinden können.
28. - Sonnabend
Die CSU bringt die Forderung einer „Integrationspflicht“ ins Gespräch. Die Grünen kontern, das mache keinen Sinn, wenn gleichzeitig Integrationskurse nicht ausreichend finanziert werden. Absurdistan scheint momentan überall zu sein. Als ob Integrationskurse eine Garantie für Integration wären. Werte kann man in Kursen nur schlecht vermitteln.
27. - Freitag
Auf der Trauerfeier für die Opfer vom 13.11. wiederholt Staatspräsident Hollande, dass sich Frankreich im Krieg befindet. Dazu passt, dass die erste Antwort Deutschlands auf die Bitte um Hilfe aus Frankreich ein militärisches Angebot ist. Voraus. Auch hier geht den Worten die Tat - Dabei sollte klar sein, dass sich der „Krieg gegen den Terror“ nicht wie ein konventioneller Krieg aus den vorigen Jahrhunderten „gewinnen“ lässt und dass der „Islamismus“ ein höchst hybrides Wesen ist. Entsprechend gibt es auch auf unserer Seite Hybridität: einen Krieg der Gesellschaftsordnungen, der Werte und letztlich des Glaubens, also auch ein Glaubenskrieg.
26. - Donnerstag
Auf dem Rückflug von Fuerteventura lese ich, was DIE ZEIT über die Anschlagsserie schreibt. Da begegnet mir ein Mantra, das da lautet. „Die wollen“ - „die“, das sind die Terroristen vom IS. Und „wie“ tun ihnen den Gefallen nicht, sondern das Gegenteil. „Wir“ lassen uns nicht einschüchtern, gehen weiter in Fußballstadien und Konzerte. Mir scheint diese Logik verständlich, aber zu simpel. Vor allem, weil ich bezweifle, ob „wir“ wissen, was „die“ wirklich wollen. Da müsste man erst einmal etwas mehr nachforschen.
Vom 17. - 25. November war dann nur Urlaub unter blauem Himmel angesagt.
16. - Montag
Ich suche im Shop neben dem Hotel nach einer Zeitung. Die Schlagzeile der „Daily Mail“ springen mir ins Auge, die von zwei Patzern im Zusammenhang mit den Attentaten in Paris berichtet. Ich bin geschockt – auch deswegen, weil ich von den Anschlägen erst jetzt erfahre, drei Tage nach den mörderischen Attacken. Haben die Mitreisenden, die fleißig auf ihren Smartphones unterwegs sind, nichts von dem mitgekriegt, was da passiert ist und wenn ja, warum haben sie davon nichts an die Gruppe weitergegeben, Aber die Gruppe ist ja keine Einheit, sondern eine zufällige Ansammlung von Individuen, die sich darauf konzentrieren, eine Urlaubsreise zu genießen. Alles andere wird da ausgeblendet – und auch ich spreche „das Thema“ bei unseren gelegentlichen Unterhaltungen mit Mitreisenden in den folgenden Tagen nicht an.
15. - Sonntag
Das Thema ist auch auf den Inseln vor der afrikanischen Küste präsent. Es gibt ein großes Problem mit den Asylanten, die aus Afrika auf die Kanarischen Inseln kommen, sagt unser Reiseführer auf Lanzarote. Die verbrennen einfach ihre Pässe und dann müssen wir sehen, was wir mit ihnen machen. Ein wirklich großes Problem ist das. Zwischenruf eines Mitreisenden: Das sagen Sie mal Frau Merkel.
12. - Donnerstag
Heute geht es in den Urlaub auf die Kanarischen Inseln, die früher die „glücklichen“ genannt wurden, weil sie am Rand der Welt vermutet wurden, wo es keine geteilten Himmel gibt. Es sollte also keinen Grund geben, in den nächsten 14 Tagen etwas in diese Art von Tagebuch einzutragen.
11. - Mittwoch
In einigen Gegenden Deutschlands beginnt die 5. Jahreszeit. Die Thüringische Allgemeine widmet sich dem Thema, ob die Flüchtlingskrise Thema der diesjährigen Saison sein dürfe oder eher nicht. Tendenz: Das Thema ist tabu.
10. - Dienstag
Helmut Schmidt ist tot. Das Fernsehprogramm des Abends erweckt den Anschein, als seien aus Respekt vor dem verehrten Politiker und Menschen (bzw. umgekehrt) alle Grabenkämpfe deutscher Politik plötzlich verschwunden.
9. - Montag
Nach der Chorfreizeit mache ich einen Abstecher nach Rosenheim, um einen Ingenieur zu treffen, der für die GTZ (Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) bis zum Ende der 80er Jahre in Myanmar gearbeitet hat. Er ist mit einer Birmanin verheiratet. Die ist in der Gesellschaft der Stadt voll integriert, fühlt sich seit einiger Zeit aber auch unwohl. Rosenheim ist ein Zentrum der Kanalisierung der Flüchtlingsströme von der österreichischen Grenze in andere Gegenden Deutschlands. Das ist mittlerweile ein Thema beim Frauen-Stammtisch, den sie jede Woche besucht. Die Sprüche, die da fallen, gefallen ihr nicht.
8. - Sonntag
Ein Taxi bringt mich zum Bahnhof. Der Fahrer ist äußerst redselig. Er berichtet von Erfahrungen mit dem Jugendamt, das ihm offenbar ein Kind auf Zeit weggenommen hat. Dann kommt die Polizei dran, die ihm einen Strafzettel aufgebrummt hat, obwohl er nur einer alten Frau Essen gebracht hat und nur wenige Minuten im Halteverbot gestanden hat. Haben die nichts Besseres zu tun? Die sollen sich lieber um die Flüchtlinge kümmern. Und dann kommt's: Alles geplant von langer Hand, das mit den Flüchtlingen. Merkel ist eine jüdische Agentin, die BILD-Zeitung wird vom CIA gesponsert. In der Fernsehsendung „Die Anstalt“ wurde das bewiesen. 2020 werden 50% der Kinder in Deutschland Ali und Aischa heißen. - Viel Stoff für eine Fahrt von sechs Minuten und keine Chance für mich,d a sinnvoll entgegenzuhalten. Ich steige reichlich erschlagen in den Zug.
7. - Sonnabend
Das jährliche Chorwochenende des Bangkoker Exil-Kloster-Chors findet zum letzten Mal in einem ehemaligen Kloster in Hessen. Ein nächstes Treffen soll weiter südlich in einer Tagungsstätte stattfinden, die dem fortgeschrittenen Alter der Sängerinnen und Sänger besser entspricht. Das diesjährige Thema heißt „Träume“. Geprobt wird ein Spiritual, das vom Traum vom Gelobten Land nach dem Gang durch den Jordan handelt. Auf dem Hintergrund der Flüchtlingswellen bekommt das Lied eine makabre Bedeutung. Die Träume vom gelobten Land leben immer noch, gehen durch und über Wasser. Neulich gab es Bilder von Flüchtlingen, die durch einen kalten Fluss gelaufen sind. Aber der große Jordan unserer Zeit ist das Mittelmeer.
6. - Freitag
Die Koalition hat sich geeinigt. Es wird weder Transitzonen noch Einreisezentren geben. Der neue Name lautet „Aufnahmeeinrichtungen“. Trotz des freundlich klingenden Namen hat der Streit deutlich das Ende der Willkommenskultur signalisiert.
5. - Donnerstag
Über der Halbinsel Sinai ist nach dem Absturz eines russischen Flugzeugs der Himmel gesperrt worden. Britische Flugzeuge fliegen den Flughafen von Scharm-el-Scheich nicht mehr an. Tausende von Urlaubern sitzen fest.
4. -, Mittwoch
Gespräch über den Zaun mit der Nachbarin - das Wetter, die Flüchtlinge, VW und der Betrug, das verflossene Vertrauen in Europa. Alles geht den Bach runter. Auf nichts kann man sich mehr verlassen.
3. - Dienstag
Eine benachbarte Kirchengemeinde unterstützt eine große Flüchtlingsunterkunft in der Nähe. Ich habe schon häufiger überlegt, ob ich da meine Mitarbeit anbieten soll. Es gibt verschiedene Aktivitäten einschließlich einem „Kunstzelt“, in dem die Bewohner einige Tage in der Woche kreativ tätig sind. Im Internet findet sich ein schöner Text, in dem es heißt: „Hier schauen wir Menschen in die Augen, und wir sehen in diesen Augen, in den Spiegeln der Seele, die einzelnen Leben und Lebensgeschichten.“ Die Arbeit hilft, die Flüchtlinge als Individuen zu sehen und nicht als Teile einer bedrohlichen Statistik.
Aus einer anderen Qurlle erfahre ich von einem anderen Migrantenschicksal. Vor 15 Jahren kam eine Frau aus einem der Länder der ehemaligen Sowjetunion. Sie heiratete hier und bekam einen Sohn. Der ist jetzt 13 und leidet an Diabetes. Die regelmäßige Kontrolle der
Krankheit überfordert ihn. Schulisch ist er vom Gymnasium zur Hauptschule abgestiegen
und bekommt auch da schlechte Noten. Er will nicht mehr leben und die Mutter ist auch verzweifelt. Von ihrem Mann hat sie sich getrennt. Er trank Sie lebt von Hartz IV und putzt nebenbei. Aber
das ist gar keine Migrantengeschichte, sondern normal.
2. - Montag
Zur Montags-Demo von Pegida kommen weniger Leute als zuletzt, aber der Ton bleibt scharf. Lutz Bachmann vergleicht Justizminister Maas mit Goebbels und Eduard Schnitzler, dem Chef-Propagandisten des DDR-Fernsehens. Die Reaktionen sind verbal auch krass. SPD-Parteivize Stegner: „Der verurteilte Straftäter und PEGIDIOT Bachmann vergleicht Heiko Maas mit Goebbels - dieser ekelhafte Brandstifter gehört vor den Kadi!“ Die SPD-Generalsekretärin nennt ihn einen „wahnsinnigen Faschisten“. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachtes der Beleidigung.
1. - Sonntag
Auf dem Regierungsgipfel am Abend gibt es keine Einigung. CDU/CSU fordern Transitzentren, um Flüchtlinge abweisen zu können, die keine Chance auf Anerkennung haben. Die SPD will dagegen Einreisezentren, um dasselbe zu erreichen. Transitzonen seien wie Gefängnisse.
OKTOBER 2015
31. - Sonnabend
Die grüne Parteijugend will den grünen Bürgermeister von Tübingen ausschließen lassen, weil er den Satz geäußert hat „Wir schaffen das nicht“ und sich damit in die Nähe von Pegida und der CSU begeben habe.
30. - Freitag
SPIEGEL-Online veröffentlicht eine Kolumne, in der Angela Merkels Flüchtlingspolitik „unmoralisch“ genannt wird, weil sie nicht realistisch ist und letztlich nur ihrem eigenen Image nützt.
30.10. - 1.11. Nachlese wegen einer Reise nach Bonn, um dort über den über Myanmar geteilten Himmel zu unterrichten.
29. - Donnerstag
Die Nachrichten melden, dass heute etwa 6000 Flüchtlinge aus Österreich in Passau ankommen. Ich nehme den Taschenrechner sagt mir, dass es es über zwei Millionen sein werden, wenn diese Zahl über das ganze Jahr gleich bleibt. - In Hamburg, so eine weitere Nachricht, ist der Weiterbau einer Unterkunft für 700 Flüchtlinge unter dem Polizeirecht von einem Gericht untersagt worden. Anwohner hatten mit der Begründung geplagt, ihre Häuser in der Nachbarschaft würden einen Wertverlust von 10 Millionen Euro erleiden. Der Verein „Lebenswertes Klein-Borstel“ begrüßt das Urteil. Der Verein ist am 25. September 2015 nach Beginn der Bauarbeiten gegründet worden.
„Wir verstehen die Not der Stadt, die vielen nach Deutschland kommenden Menschen angemessen unterzubringen. Das darf aber nicht unter Aufgabe von Rechtsstaatlichkeit und mit einer Überforderung der gutwilligen Anwohner erfolgen,“ schreibt der Verein auf unserer Website. Logische Folgerung: Der demokratische Rechtsstaat schützt seine Bürger mehr als die Flüchtlinge. Die Stadt, so ist zu hören, wird den Anwohnern keinen Kompromiss anbieten, solange die weiter klagen.
28. - Mittwoch
Es klingelt an der Tür. Ein jüngerer Mann mit roter Jacke steht da. Bevor er den Mund aufmacht, weiß ich, was er will: mich für den Arbeitersamariterbund werben. Er legt auch gleich los und ich habe Mühe, seinen Vortrag zu unterbrechen. Er ist nicht der erste Besucher, ich kenne den Verein, habe mich aber entschlossen, meine soziales Gewissen woanders zu entlasten. Tut mir leid. Er redet trotzdem weiter. Es geht ja nicht ums Geld, sondern nur um Mitglieder, oder so ähnlich. Ich versuche höflich zu bleiben ohne mich auf eine Diskussion einzulassen. Das klappt nicht, der Besucher redet weiter. Ich empfinde das als hochgradig aggressiv und schließe mit einem bedauernden „sorry“ die Tür. Ich habe den Eindruck, dass er im Weggehen eine Verwünschung ausstößt.
27. - Dienstag
Die bayerische Regierung wertet heute gegen seine Nachbarn in Süden und in der Republik. Österreich schickt unangekündigt eine Busladung nach der anderen an die bayrische Grenze und die Regierung sieht keine Möglichkeit, den Zustrom schnell zu begrenzen. Bis Sonntag, so Ministerpräsident Seehofer, soll die Bundeskanzlerin Abhilfe schaffen, sonst müsste Bayern tätig werden, wie auch immer. Kommentatoren sprechen von einem „Ultimatum“.
SPIEGEL online schließt seinen Bericht mit diesem Hinweis an seine Leser: „Im Unterschied zu vielen anderen Artikeln auf SPIEGEL ONLINE finden Sie unter diesem Text kein Forum. Leider erreichen uns zum Thema Flüchtlinge so viele unangemessene, beleidigende oder justiziable Forumsbeiträge, dass eine gewissenhafte Moderation nach den Regeln unserer Netiquette kaum mehr möglich ist.“
Die Rhetorik in Politik und Öffentlichkeit eskaliert. Auf der politischen Ebene wird es bald einen Burgfrieden geben, ob der auch für die Gesellschaft hergestellt werden kann, ist die Frage.
26. - Montag
Die Pegida-Post-Jubiläums-Demonstration findet statt und kann per Livestream am Computer verfolgt werden. Der Beitrag des Hauptredners am heutigen Abend – es handelt sich um einen Autor namens Baal Müller – kann als extrem nationalistisch bezeichnet werden. Vom „deutschen Volk“ ist mehrfach die Rede. Im Blick auf eine drohende Überfremdung ruft er „Unsere Geduld ist zu Ende.“ Das Recht auf Widerstand nach Grundgesetz-Artikel 20 wird beschworen. („Widerstand, Widerstand“ rufen Teilnehmer.) Eine Gefahr für die Souveränität Deutschlands wird beschworen. („Ami go home“ Rufe ertönen.) Nach der eher kurzen Ansprache beginnt wie schon bei früheren Veranstaltungen ein „Abendspaziergang“ durch Dresden. Gut 10.000 Menschen nehmen teil. Die Anzahl der Gegendemonstrationen liegt bei 1.000, sehr viel weniger als vor einer Woche.
Die Rede stimmt mit ihrer Tendenz mit dem überein, was in Myanmar Mönche über die in ihrem Land von Moslems drohende Gefahr sagen. Dort nehmen sie in Anspruch, die Reinheit ihrer Religion und damit ihres Volkes zu verteidigen. Auf Pegida-Veranstaltungen waren Kreuze zu sehen – schwarz-rot-gold angestrichen. Es geht um die religiöse und nationale Identität, damit aber auch um einen mindestens latenten Fundamentalismus und Rassismus. Die religiöse Dimension ist in einem säkularen Staat wie Deutschland nicht so leicht erkennbar. Die in den Kommentaren über Pegida häufige Berufung auf die Demokratie ähnelt der Beschwörung eines Glaubensartikels. Das ist eine weitere Facette des zugrunde liegenden Dilemmas. Über Glaubensgrundsätze als Stützen der eigenen Identität lässt sich nicht diskutieren.
25. - Sonntag
Am Abend fällt bei Günther Jauch das Wort "Guantanamo" in einem Bericht über die Lage von Flüchtlingen in Slowenien. Sie leben dort nach eigener Wahrnehmung wie im Gefängnis. - Die Konferenz in Brüssel, die eine europäische Lösung für dien Flüchtlingsstrom auf der "Balkan Route" finden soll, einigt sich auf ein Ende des "Durchwinkens" und den Bau von Lagern für 100.000 Flüchtlinge, davon 50.000 in Griechenland mit dem Ziel, sie dort ordentlich zu registrieren. - Bei den Wahlen in Polen gewinnt eine konservative Partei die absolute Mehrheit, die europakritsch und gegen die Aufnahme von Flüchtlingen ist.
Die „europäischen Werte“ entpuppen sich als eine Worthülse. Es gibt keine Solidarität zwischen den Mitglieder-. Anders betrachtet: Die Union leidet an dem inneren Widerspruch des von ihr propagierten Ideals der Demokratie. Sie muss mit den Mehrheitsmeinungen der Wähler in einigen Ländern leben. Ein Kommentator stellt fest, dass die Europäische Union in ihrem Kern nicht mehr ist als eine Gemeinschaft, die vom Glauben an den wirtschaftlichen Nutzen der Gemeinschaft zusammengehalten wird.
24. -Sonnabend
Auch unsere christlichen Parteien sind gespalten. Der Umgang mit den Flüchtlingen ist für die christliche Union eine Existenzfrage, sagt der bayrische Ministerpräsident und Chef der sozialen christlichen Partei. Wenn es zu einer Konkurrenzsituation zwischen den sozial Schwachen in Deutschland und den Flüchtlingen – Stichwort Wohnungen - komme, dann sei das die Quelle für politischen Radikalismus.
23.-Freitag
Ich bereite ein Seminar über die politische Kultur Myanmars vor. Ich werde den Teilnehmer_innen zu erklären versuchen, dass es in diesem Land wie in den vier Ländern, in denen der Theravada-Buddhismus Nationalreligion ist, keine Tradition des politischen Kompromisses gibt. Auch dort gibt es eine Flüchtlingskrise, von der wie in Europa überwiegend Muslime betroffen sind. Dort sind es an der Grenze zu Bangladesch lebende staatenlose Bewohner des Landes, die in der internationalen Presse „Rohingyas“ genannt werden. Dieser Name wird aber von der Regierung Myanmars nicht akzeptiert. Sie werden dort „Bengalis“ genannt, womit unterstellt wird, dass sie oder ihre Vorväter bis zum Beweis des Gegenteils Immigranten aus dem benachbarten Bengalen sind. Buddhistische Mönche unterstützen die Position der Regierung. Auch hier gibt es keine Moderatoren, die den Konflikt entschärfen könnten – nur ist Myanmar anders als unser Land kein Rechtsstaat. Aber der wird ja auch bei uns als bedroht angesehen.
Die buddhistische Islamophobie ähnelt der von Pegida verbreiteten. Hier wie dort herrscht Angst vor Überfremdung und hier wie dort sind diese Ängste rational nicht zu greifen. Wo Religion im Spiel ist, geht es auch immer ums Ganze, um Leben oder Tod. Kein Wunder, dass unsere Politik in diesem Kampf er Zivilisationen, die auf fundamental unterschiedlichen Werten beruhen, ziemlich hilflos aussieht. Der von Samuel Huntington skizzierte „Kampf der Zivilisationen“ hat sich in einen Kampf von Glaubenskriegern neuer Art verwandelt.
22. - Donnerstag
Die Lage in Slowenien spitzt sich zu, über 13.000 Flüchtlinge sind über die Grenze von Kroatien gekommen, nachdem es keinen Weg über Ungarn gibt. Das kleine Land ist überfordert, sagen die Behörden, die Bedingungen in den Aufnahmelagern sind entsprechend katastrophal. Gestern hat die ARD unter der Überschrift „Verzweifelte Flüchtlinge zünden Zelte an“ einen Bericht ins Netz gestellt. Von den 38 Kommentaren zur Meldung zeigen mehr als 30 Unverständnis. Einer der milderen Beiträge: „Der Frust muss tief sitzen aber mit so einer Handlungsweise schafft man kein Vertrauen. Das schafft weiteren Ärger. Und die Täter sollte man ausfindig machen und sofort abschieben um so größer wäre die Chance für die Anderen!“
Heute hat die ARD in der Tagesschau einen „Faktencheck“ angekündigt. Wegen der hohen Zahl der Kommentare schließt die Moderation die Kommentarfunktion um 20.33. Folgende Beiträge kamen durch: „Der SED wäre keine bessere Pressemitteilung gelungen.“ - „Für wieviel Euro muss ein Asylbewerber denn dann klauen, damit die Polizei von einem Problem spricht?“ - „Es ist gut, dass diese Gerüchte aufgeklärt werden. ... Ich denke aber nicht die angebliche Kriminalität macht den Menschen Angst. Es ist vielmehr die Sorge, wie das mit der Integration klappen soll.“ - „Ich hatte die Hoffnung, die Tagesschau nimmt sich des Themas: Gewalt gegen Flüchtlinge an. Nämlich der Gewalt, der Flüchtlingen auf der Flucht ausgesetzt sind, und die hier überhaupt niemanden zu interessieren scheint.“ - „Wenn ich diesen Artikel meinen Kindern als Gute-Nacht-Geschichte präsentieren würde, kommen die vor lauter Lachen gar nicht mehr zum Schlafen.“ - „Es doch eigentlich immer klar, aber jetzt haben wir den Beweis. Alle, alle, alle, Flüchtlinge sind durch und durch gute Menschen und auf jeden Fall sehr viel bessere als alle Deutschen zusammen.“ - „So ganz kann ich das nicht glauben. Wurde der Artikel von Mutti Merkel, den Grünen oder Linken geschrieben?“ - „... vermutlich sind die Bürgermeister, Polizeibeamten, Mitarbeiter in den Supermärkten, Busfahrer und all die anderen die jeden Tag Gegenteiliges erleben alle faschistoide Lügner und Wochenend-Nazis.“ - „Jeder der mit Flüchtlingen arbeitet weiß: wie beim Nordeuropäer, gibt es auch bei den Flüchtlingen aus Syrien solche und solche...wer hätte das gedacht?“
Fazit: Die Emotionen gehen hoch, die unzufriedenen Sprüchemacher beherrschen die Medien, die schweigende Mehrheit tut, was sie immer tut. Grenzziehungen nehmen zu. Die viel beklagte Radikalisierung der Sprache ist wohl mehr Ausdruck eines Glaubwürdigkeitsverlustes von Politik und Medien. Der Spruch von der „Lügenpresse“ aus der Frühzeit von Pegida ist die Spitze eines Eisbergs, dessen Größe und Beschaffenheit schwer auszuloten ist. Die Gefahr ist daher weniger eine Zunahme einer rechtsradikalen Ideologie, sondern die Erosion des demokratischen Grundkonsensus über die Art und Weise, wie Meinungsverschiedenheiten ausgetragen werden können.
21. - Mittwoch
Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu besucht Berlin. Kurz vor seiner Abreise hat er behauptet, der Großmufti von Jerusalem – in Palästinenser - habe 1941 Adolf Hitler die Idee zum Holocaust eingegeben. Der Führer habe sie nur vertreiben wollen. Auf dem Hintergrund der gegenwärtigen Messer-Attacken von Palästinensern auf Israelis bedeutet diese Sicht der Geschichte: Sie wollten uns damals vernichten und sie wollen es auch heute noch. Gleichzeitig erinnert der Regierungschef die Deutschen an ihren Anteil an der aktuellen Problematik. Die Zäune, die heute Palästinenser und Israelis trennen sind eine Folge der Zäune um die KZs im Dritten Reich. Die wiederum wurden auf dem Hintergrund der Fantasie von einer jüdischen Weltverschwörung errichtet, einer anderen Verschwörungstheorie.
Jerusalem, die angeblich heilig-unheilige Stadt, ist das Symbol dafür, dass der Himmel in den Köpfen der Menschen schon immer geteilt war und dass dabei die religiöse Spaltung der Welt eine zentrale Rolle spielt.
Ich war einmal dort als die Stadt vor dem Krieg von 1967 noch geteilt war. Ich fand es schade, dass ich die Altstadt nicht besuchen konnte, aber im Rückblick war es damals dort friedlicher als heute. Gleichzeitig erinnere ich mich an den Aufenthalt in einem Kibbuz an der Grenze zum Gaza-Streifen, die von Blauhelmsoldaten der UN bewacht wurde. Mit einer Gruppe anderer Deutschen hatten wir dort drei Wochen lang Äpfel gepflückt. Ich erinnere mich, dass die Kibbuzniks verächtlich auf die Araber auf der anderen Seite des Grenzzauns herabsahen, traute mich aber nicht, laut zu denken, dass mich das störte.
20. - Dienstag
Die Berichterstattung über die gestrige Pegida-Veranstaltung konzentriert sich auf den Auftritt von Akıf Perinҫci, des deutsch-türkischen Autors, der schon länger den Untergang des Abendlandes auf Grund der Verweichlichung der Männerwelt beschwört. Er hat eine kräftige Hetzrede gehalten, die in dem Satz gipfelte, leider gäbe es ja keine KZs mehr. Sein Verlag hat danach alle Verträge mit ihm gekündigt. Außerdem wird geprüft, ob er wegen seiner Äußerungen strafrechtlich belangt werden kann. Politiker stellen fest, dass die Veranstalter die Grundlagen der Demokratie in Frage stellen.
Die große Anzahl der Gegendemonstranten wird positiv hervorgehoben. Der „Aufstand der Anständigen“ wird beschworen. Nicht erwähnt wird in den meisten Kommentaren, dass der Hauptredner seine Rede abbrechen musste, weil er dem Publikum mit seinen langen Tiraden offenbar auf den Geist ging. Lutz Bachmann, der den Redner eingeladen hatte, entschuldigte sich später. Er habe einen Fehler begangen und hätte Perinҫci schon früher das Mikrofon abschalten müssen. Pegida spaltet sich offenbar von selbst.
Ein wesentliches Element der von allen Seiten beschworenen Demokratie wird durch die eskalierende Rhetorik beider Seiten beschädigt, die Fähigkeit zum Kompromiss und zum Dialog. Dass sich der Gründer von Pegida entschuldigt, warum auch immer, entbehrt nicht der Ironie.
Der Online Dienst der Rheinischen Post teilt am Abend nach seiner Berichterstattung über die Entschuldigung mit: „Anders als sonst bei uns üblich gibt es allerdings an dieser Stelle keine Möglichkeit, Kommentare zu hinterlassen. Zu unserer Berichterstattung über die Flüchtlingskrise haben wir zuletzt derart viele beleidigende und zum Teil aggressive Einsendungen bekommen, dass eine konstruktive Diskussion kaum noch möglich ist.“
19. - abends
Ich schalte kurz nach 18 Uhr den Fernseher ein in der Hoffnung, etwas vom Verlauf der Versammlungen und Demonstrationen in Dresden zu erfahren. Fehlanzeige. Alls Nachrichtensender haben ihr Programm nicht geändert und berichten vom Geschehen nicht live. Pegida wird auf Distanz gehalten wie es sich gehört, wenn Rattenfänger unterwegs sind. Ein Kommentar im Rundfunk begründet, warum es keinen Grund gibt, auf das Jubiläum stolz zu sein.
In der Tagesschau gibt es einen kurzen Bericht. Sowohl auf der Jubiläumsversammlung von Pegida wie bei der Demonstration dagegen unter dem Motto „Mit Herz gegen Hetze“ nahmen etwa gleich viele Menschen teil. Ein Teilnehmer der Pegida-Veranstaltung sagt ins Mikrofon, er sei ein ganz normaler Bürger und wolle die deutsche Kultur schützen. Eine SPD-Politikerin, die an den Gegendemonstrationen teilnimmt, meint, sie möchte dazu beitragen, „dass wir diese Spaltung der Gesellschaft überwinden.“ Eine Sprecherin der Grünen gibt den Anführern der Bewegung sowie Politikern der Alternative für Deutschland eine Mitschuld an dem Attentat auf die Kölner Bürgermeisterkandidatin. Sie nennt den Namen eines AfD-Politikers aus Thüringen, der gestern Abend in Günther Jauchs Talkshow aufgetreten ist. Der Justizminister kündigt an, dass bei der Pegida-Demonstration genau beobachtet würde, ob Strafratsbestände begangen würden.
Ich sehe ein Dilemma. Wie will man eine Spaltung der Gesellschaft mit Hilfe einer Demonstration verhindern, die sich gegen Leute richtet, deren Meinung man für hetzerisch hält. Ist eine kämpferische Demonstration ein „herzlicher“ Umgang mit Hetzern? Von solchen hält man sich fern. Der gesamtdeutsche Himmel teilt sich einmal wieder, es werden Grenzen gezogen.
Später schauen wir bei 3Sat einen Reisebericht über Myanmar an, das ferne Land, von dem ich etwas verstehe. Eine Schweizerin macht auf ihrer Reise von China nach Indien Station in Yangon, der ehemaligen Hauptstadt Myanmars. Sie stellt einige Menschen vor, die ihr begegnet sind. Der Bericht über das tief gespaltene Land ist politisch einseitig, oberflächlich, enthält einige krasse Fehlinformationen, ist gut gemeint und bestätigt alle Meinungen, die man auch vorher schon über das Land lesen konnte. Nun ja, es ist ja nur ein Reisebericht.
Hier ist es - wie am Anfang - wieder Oktober 2015